Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
sich demnächst mit Parksündern auf dem Domplatz beschäftigen?«
V
»Darf ich mal einen Blick hineinwerfen?«, bat ich den Monsignore, als er den schwarzen Lederkoffer vor mich hinstellte.
»Glauben Sie, dass wir Sie mit einem Haufen alter Zeitungen fortschicken?«
»Das Glauben überlass ich Leuten, die mehr davon verstehen. Ich trau lieber meinen Augen.«
Kratz stieß etwas aus, das nach einem Stoßgebet klang, fummelte an dem Zahlenschloss, und der Koffer schnappte auf. Hundertmarkscheine, bündelweise.
Sofort klappte der Monsignore den Koffer wieder zu und verstellte die Zahlenkombination. »Versuchen Sie nicht, den Koffer zu öffnen! Die richtige Zahlenkombination befindet sich in diesem Brief.« Er reichte mir einen Briefumschlag mit einem dicken roten Siegel. »Er ist versiegelt, wie Sie sehen. Das ist mit den Erpressern so vereinbart. Sollte das Siegel gebrochen sein, platzt die Geldübergabe, und wir werden Sie zur Rechenschaft ziehen.«
»Wissen Sie was?«, sagte ich mit einem dünnen Lächeln. »In früheren Zeiten, als ich mir die Klienten noch aussuchen konnte, hätte ich jemanden wie Sie abgelehnt.«
Kratz grinste. »Die früheren Zeiten sind vorbei, nicht wahr? Heute sind Sie auf jede mildtätige Mark angewiesen. Und wir möchten Sie nicht in Versuchung führen.«
Ich nahm den Koffer. »Was ich mich die ganze Zeit frage, Monsignore: Haben Sie eigentlich auch so eine Porno-Videosammlung? Oder belästigen Sie lieber Messdiener?«
»Gehen Sie!«, fauchte er. »Und treten Sie mir nie wieder unter die Augen!«
»Auch gut«, sagte ich. »Aber vergessen Sie nicht, mir den zweiten Scheck zuzuschicken.«
Als ich ihn verließ, murmelte er etwas, das sich wie »Fegefeuer« anhörte.
Das Taxi wartete vor der Tür und brachte mich zum Aasee. Der Koffer klemmte zwischen meinen Knien. Ein seltsames Gefühl, mit fünfhunderttausend Mark spazieren zu fahren. So ähnlich musste sich ein frisch bestochener Politiker fühlen.
Die Geldübergabe sollte auf dem Aasee erfolgen, genauer gesagt, in der ›Professor Landois‹, dem bekanntesten und einzigen Aasee-Kreuzfahrtschiff, das vom Frühling bis zum Herbst in stündlichem Rhythmus den Aasee auf- und abschipperte. Seinen Namen hatte es von dem Begründer des münsterschen Zoos, einem ordinierten Priester und späteren Tierfreund. { 2 }
Das Taxi hielt auf der Adenauerallee, und ich ging die Treppe zur Anlegestelle hinunter. Der Fahrbetrieb war erst vor wenigen Tagen wieder aufgenommen worden und das Publikumsinteresse an diesem Werktag gering, zumal der Himmel bewölkt und die Luft alles andere als frühlingshaft warm war.
Der Kapitän begrüßte jeden Fahrgast per Handschlag, was nicht besonders zeitaufwendig war. Außer mir stiegen noch ein junger Mann, ein älteres Ehepaar und zwei Mütter mit einer Horde schreiender Kinder ein.
Ich setzte mich auf den vorbestimmten Platz, den drittletzten auf der rechten Seite. Vorher nahm ich den Zettel vom Sitz, der dort gelegen hatte. Während wir ablegten, las ich: »Steigen Sie am Zoo aus und gehen Sie zum Elefantenhaus. Stellen Sie den Koffer hinter der Sitzbank ab, werfen Sie den Brief in den Papierkorb.«
Einer oder eine im Boot gehörte zum Kommando Jan van Leiden, da war ich ganz sicher. Sie wollten sehen, ob ich verfolgt wurde. Nach dem negativen Test neulich am Hawerkamp ein ganz vernünftiger Gedanke. Während der Taxifahrt zum Aasee hatte ich darauf geachtet, ob uns ein grauer Audi oder ein anderes, betont unauffälliges Auto mit zwei männlichen Insassen im mittleren Alter gefolgt war, aber nichts bemerkt. Andererseits konnte Stürzenbecher erfahren haben, dass die Übergabe auf dem Aasee erfolgen sollte, und seine Truppen rund um das münstersche Naherholungsparadies konzentriert haben.
Ich betrachtete meine Mitreisenden. Der Kapitän, dick wie ein blauer Bär, lenkte seine Nussschale, die gerade mal eine Schulklasse oder einen Kegelverein fasste, durch das seichte Wasser. Die beiden Mütter verteilten Tadel und Bonbons an ihre kreischenden Kinder und waren damit beschäftigt, sie davon abzuhalten, ins Wasser zu fallen. Das ältere Ehepaar unterhielt sich angeregt, und der junge Mann schaute übers Wasser zur Mensa auf der anderen Uferseite. Niemand beachtete mich.
Die erste Haltestelle hinter der Aaseebrücke war verwaist. Ich hielt Ausschau nach hinter Büschen versteckten Polizisten, entdeckte aber nichts Menschliches. Da keiner der Fahrgäste aussteigen wollte, nahm der Kapitän direkt Kurs auf
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