Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
den Zoo.
Ein kühler Wind kam auf, und ich fror unter meinem dünnen Trenchcoat. Die ›Professor Landois‹ kämpfte sich durch die Miniwellen. Gut, dass der Aasee so klein war. Ein größeres Gewässer und ein bisschen Sturm – und die ›Professor Landois‹ würde nicht sicherer sein als die dreifach überladenen Fähren in Bangladesch.
Kurze Zeit später glitten wir in langsamer Fahrt durch den schmalen Kanal, der zum Zoo führte, aufmerksam beobachtet von Flamingos und anderem Federtier.
Der Kanal mündete in ein von Spundwänden umstelltes Loch, das eine Kehrtwendung zuließ. »Zoologischer Garten«, verkündete der Kapitän durchs Mikrofon.
Alle standen auf, der junge Mann, das ältere Ehepaar, die Mütter, die Kinder und ich. Jenseits des Laufstegs wartete eine größere Gruppe, die den Zoobesuch bereits hinter sich hatte und nun zum Ausgangspunkt zurückwollte. Ich war darauf gefasst, dass mich jemand ansprechen oder mir die Tasche aus der Hand reißen würde. Aber nichts geschah.
Also ging ich zur Kasse und kaufte eine Eintrittskarte. Nun, dann eben im Elefantenhaus. Das Kommando Jan van Leiden liebte es kompliziert. Sollten sie ihren Spaß haben.
Weder die Affen noch die Seelöwen interessierten sich für den Koffer, den Hyänen hätte ich es ohnehin nicht zugetraut.
Am Eingang des Elefantenhauses schlug mir eine warme, stinkende Luft entgegen, verursacht von der Klimaanlage und der regen Darmtätigkeit der Nilpferde und Nashörner. Der Neubau des Elefantengeheges war so weit fortgeschritten, dass man bereits die einem Tarzan-Film der Dreißigerjahre nachempfundene Wandgestaltung bewundern konnte. Ich blickte mich um. Die beiden Mütter mit den Kindern hatten auch den Weg ins Elefantenhaus gefunden. Na gut. Ich stellte den Koffer hinter der Sitzbank ab und warf den Brief in den Papierkorb. Bald würde jemand um fünfhunderttausend Mark reicher sein. Wozu so ein Wiedertäufertick doch gut sein konnte.
Anschließend postierte ich mich auf dem Kinderspielplatz und beobachtete das Elefantenhaus. Eine Kleinigkeit blieb für mich noch zu tun: herauszufinden, wer vom Kommando Jan van Leiden mich kannte. Nicht nur aus professioneller Neugier, sondern auch wegen des drohenden Damoklesschwertes der Mitwisser-, wenn nicht -täterschaft.
Eine junge Frau mit roten Haaren schlenderte vom Geierkäfig zum Elefantenhaus. Sie trug einen schwarzen Wollmantel und einen kleinen Rucksack. Und dann tauchte der junge Mann aus der ›Professor Landois‹ auf. Ich hatte ihn schon auf dem Boot erkannt. Er sah etwas anders aus als auf den Fotos, die ich vor drei Tagen betrachtet hatte. Aber ganz zweifellos handelte es sich um Andreas Kleine-Schüttringhaus, den verschwundenen Okkultisten.
Er tuschelte kurz mit der Frau und ging dann weiter, direkt auf mich zu. Ich duckte mich tiefer.
»Haben Sie etwas verloren?«
Eine resolute ältere Dame stemmte ihre Fäuste in die Hüften. Ich sah ihr an, dass sie mich für einen potenziellen Kinderschänder hielt.
»Ja. Es muss hier irgendwo liegen.« Ich beugte mich zum Boden und betastete die feuchte Erde.
»Was ist es denn?«
»Nicht so wichtig. Bemühen Sie sich nicht!«
Sie blieb zwischen mir und den spielenden Kindern stehen. Inzwischen hatte Andreas den Spielplatz passiert, und ich richtete mich auf.
»Da kann man nichts machen«, sagte ich zu der Frau und klopfte den Dreck von den Händen. Sie verfolgte meinen Abgang mit einem Ausdruck des Ekels. Ältere Damen haben rein gar nichts für potenzielle Kinderschänder übrig.
Durch das Intermezzo hatte ich die Frau mit dem Rucksack aus den Augen verloren. Aber ich war ziemlich sicher, dass sie im Elefantenhaus die Scheine in ihren Beutel umlud.
Langsam ging ich Richtung Eingang. Dort waren auch die Ausgänge, zwei an der Zahl und dicht beieinander. Das machte die Sache einfacher. Am Kiosk kaufte ich mir ein schwarzes Magnum und betrachtete die Statue von Professor Landois: ein kleines, stämmiges Männchen mit Brille, Zylinder und Spazierstock. Am Sockel des Denkmals hing eine Bronzetafel mit einem Gedicht des auch als Heimatdichter bekannten Zoodirektors. Es war im münsterschen Platt geschrieben, und die letzten beiden Zeilen lauteten: »Un well't von vüörn nicht lieden kann/Magt Achterdeel betrachten«. Auf Hochdeutsch etwa: »Wer mich von vorn nicht leiden kann, kann mich mal am A… lecken«. { 3 }
Die Frau mit dem Rucksack hatte keinen Blick für mich oder Professor Landois. Zügig strebte sie dem Drehkreuz am
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