Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
es eine gewisse Marion.«
»Ja. Eine Marion spielt auch eine Rolle.«
XIII
Die nächsten Tage und Wochen passierte nicht viel. Ich las alles über die Wiedertäufer, was ich in die Finger kriegte. Speziell interessierten mich ihre Aktionen im März und April 1534. Damals belagerte der Bischof bereits die Stadt, aber der Belagerungsring war noch nicht so eng und massiv, dass die Wiedertäufer nicht immer wieder die feindlichen Truppen angreifen oder in ihrem Rücken Sabotageakte verüben konnten.
So machten sie am 6. März einen Ausfall durch das Hörstertor und steckten zwei Mühlen in Brand. Am 13. März ereignete sich ein Ausfall am Jüdefeldertor, bei dem Brandfackeln in zwei Landgüter von Domherren geworfen wurden. Am 15. März wurden alle Bücher (außer der Bibel) auf dem Domplatz verbrannt. Am 3. April (dem Karfreitag) banden die Wiedertäufer den Vertrag zwischen Bischof und Stadt (in dem der Bischof Münsters Rechte garantiert hatte) an den Schwanz einer alten Stute und jagten diese in das Bischofslager nach St. Mauritz. Für den 5. April (Ostern) hatte Jan Matthys die Wiederkehr Christi und die Rettung Münsters prophezeit. Am Ostermorgen ritt Matthys mit wenigen Getreuen durch das Ludgeritor auf die bischöflichen Truppen zu, aber Gott ließ sich nicht provozieren, und Matthys und seine Leute wurden getötet. Am 9. April wurden auf Vorschlag Knipperdollings die Spitzen der Kirchtürme geschleift, um sie zu Plattformen für Kanonen umzugestalten. Am 16. April gab es in Wolbeck einen Brandanschlag auf das Munitionslager des Bischofs, und ebenfalls im April brachte eine führerlose Kutsche ein mit Menschenkot gefülltes Fass ins Lager der Bischöflichen, die, misstrauisch wie sie waren, hineinstachen, was bei den Wiedertäufern allgemeines Hohngelächter auslöste.
Große Besorgnis verursachte bei mir der 16. Juni. Da hatte sich eine Frau namens Hille Feicken zur neuen »Judith« erklärt und sich aufgemacht, Bischof Waldeck (alias Holofernes) umzubringen, was ihr auch beinahe gelungen wäre. { 11 }
Natürlich war ich am 6. März in der Hörsterstraße, am 13. März in der Jüdefelderstraße und am 15. März auf dem Domplatz. Aber wer nicht kam, war das Kommando Jan van Leiden.
Langsam zweifelte ich daran, dass ich Mareike jemals wiedersehen würde, und ich versank gerade in einer mittleren Depression, als mich Professor Walter Rasch anrief. Der Professor war ganz aufgeregt. Vor ein paar Tagen sei er in der Domkammer gewesen und stutzig geworden, und jetzt, nach Konsultation eines anerkannten Kollegen aus der Kunstgeschichte, habe er den endgültigen Beweis.
Ich sagte ihm, dass ich keine Ahnung hätte, wovon er redete, aber er antwortete nur, dass ich sofort zur Domkammer kommen solle. Er würde mich dort erwarten.
Eine Viertelstunde später war ich in der Domkammer. Der Professor, diesmal in einen abgetragenen Wintermantel gehüllt, ging mit unruhigen Schritten auf und ab. Als er mich sah, packte er meinen Arm und zog mich zu den Gemälden. »Kommen Sie! Schauen Sie sich das an!«
Das Objekt seines Interesses war das inzwischen restaurierte Porträt Franz von Waldecks. Ein dicker Mann mit Backenbart und versoffenen Augen, jenseits der Lebensmitte, aber Sinnenfreuden offensichtlich nicht abgeneigt.
»Eine vage Ähnlichkeit mit Mario Adorf besteht durchaus«, flüsterte Rasch.
Ich guckte ihn verständnislos an.
»Ach so. Sie haben den Film ja nicht gesehen. Mario Adorf hat den Bischof gespielt.«
»Deshalb haben Sie mich sicher nicht herbestellt«, versuchte ich das Gespräch zu beschleunigen.
»Nein, nein. Schauen Sie sich das Bild einmal genau an!«
Ich schaute und schaute, sah aber immer noch Franz von Waldeck und nicht Mario Adorf oder Hans-Joachim Kulenkampf.
»Bitte, Professor, spannen Sie mich nicht auf die Folter!«
»Halten Sie das für ein restauriertes Gemälde?«
»Für was denn sonst? Ich habe es nach dem Säureanschlag gesehen. Alle Achtung, die Restaurateure haben ganze Arbeit geleistet.«
Der Professor strahlte mich triumphierend an und betonte jedes Wort einzeln: »Das ist das Original.«
»Und wo ist der Widerspruch?«
Seine Stimme verdünnte sich zu einem Wispern: »Dieses Bild ist nie beschädigt worden.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Er blickte sich um. »Nicht hier. Gehen wir nach draußen!«
Vor dem Dom wurden gerade die Stände des Wochenmarktes abgebaut, und inmitten von Kisten, fluchenden Marktbeschickern und nach Fisch stinkenden Pfützen dozierte Walter
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