Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Taxi zu nehmen.
Natürlich nahm ich den Umweg über das Alcatraz. Dieser Widerling (wie konnte Mareike nur mit einem solchen Idioten zusammenarbeiten?) hatte mir den Abend versaut, und es würde mich etliche Biere kosten, um wieder in gnädige Stimmung zu kommen.
Um diese Zeit war das Alcatraz brechend voll, keine Chance, einen Stuhl oder Barhocker zu ergattern. Anna wuselte zwischen den Tischen herum, und Norbert zapfte wie ein Weltmeister. Ich blieb in der Nähe der Tür und trank ein erstes Bier im Stehen.
Nach einiger Zeit tat sich an der Theke eine Lücke auf, und ich eroberte einen Barhocker. Norbert nickte mir zu und stellte ungefragt ein neues Pils hin.
Einige Biere später wurde es leerer. Anna blieb neben meinem Hocker stehen und steckte sich eine Zigarette an. Sie gehörte zu dem großen münsterschen Bevölkerungsteil, der irgendwann ein Studium abgeschlossen (oder kurz vor dem Abschluss abgebrochen) hatte und dann feststellen musste, dass ihm der akademische Arbeitsmarkt verschlossen blieb. Anna hatte Kunstgeschichte studiert und irgendwann ihren Nebenjob zum Hauptberuf gemacht. Seitdem kellnerte sie fast jeden Abend im Alcatraz. Trotzdem (oder gerade deswegen) las sie sehr viel, man konnte herrlich mit ihr plaudern, und Gerüchten zufolge war sie Mitglied des elitären Zirkels, der in der Lage ist, das ZEIT-Kreuzworträtsel in einer halben Stunde zu lösen (da ich keine Kreuzworträtsel löse, weiß ich nicht, was daran so phänomenal ist).
Anna zog den Rauch bis tief in die Lungenspitzen und stieß ihn dann durch die Nase aus. »Mein Glückwunsch. Norbert hat mir erzählt, dass es mit den zehntausend Mark geklappt hat.«
Ich nickte. »Und wie war dein Kurzurlaub?«
»Beschissen.«
»Hast du schon mal daran gedacht, deinen Freund zu wechseln?«
»Fast jeden Tag. Aber ich steh nicht auf Alkis. Und andere Männer lerne ich hier nicht kennen.«
Ich schob mein Bier ein Stück zur Seite. »Es soll vorkommen, dass jemand von Bier auf … sagen wir: Mineralwasser umsteigt.«
»Ja«, lachte sie, »aber nur bis zum ersten Streit.« Norbert beugte sich über die Theke. »Auch auf die Gefahr hin, dass ich störe: die da hinten wollen zahlen.«
Das war das Letzte, was ich von diesem Abend in Erinnerung behielt. Anscheinend musste ich noch eine Menge getrunken haben, denn am nächsten Morgen fand ich mich nicht nur mit Kopfschmerzen, sondern auch im angekleideten Zustand im Bett wieder. Und nach der Unterschrift auf dem Zettel zu urteilen, den ich neben dem Telefon fand, hatte mich Anna nach Hause gebracht. Was mich jedoch vollends zur Verzweiflung brachte, waren die zwei Sätze, die über der Unterschrift standen: »Frau hat angerufen. Wollte ihren Namen nicht nennen.«
XII
Den Tag verbrachte ich hauptsächlich liegend, entweder in meinem Bett oder auf der Couch im Wohnzimmer, wobei ich abwechselnd auf den Fernseher und auf die Uhr guckte. Das Erste, weil ich aufgrund der alkoholbedingten Schädigung meiner Denkzentrale zu keiner anspruchsvolleren Tätigkeit in der Lage war, das Zweite, weil die vierundzwanzig Stunden, die ich Tobias Frank gegeben hatte, beharrlich abliefen. Wollte ich meinen Ruf als tough guy nicht verlieren, musste ich etwas unternehmen. Fragte sich nur: was?
Bei der Suche nach einer Idee und forciert durch die dritte Wiederholung einer uralten Derrick-Folge fiel ich am späten Abend in einen leichten Schlummer, der von einem energischen Trommeln gegen die Terrassentür jäh gestört wurde.
Erst fiel ich von der Couch, und dann sah ich sie. Eine schlanke Gestalt mit schmalem, bleichem Gesicht und strubbeligen roten Haaren. Durch die Glasscheibe machte sie mir Zeichen, endlich die Tür zu öffnen.
Mein erster Gedanke galt meinem vermutlich schrecklichen Mundgeruch, aber zum Zähneputzen war es jetzt zu spät. Vielleicht ließe sich das Küssen auf später verschieben.
Ich riss die Tür auf und begrüßte Mareike mit einem überschwänglichen »Guten Abend!«.
»Mein Gott, ich dachte, du wachst überhaupt nicht mehr auf.«
»Sonst schlafe ich nie vor dem Fernseher ein.«
Sie guckte sich im Wohnzimmer um, das vor ungefähr zwei Wochen zum letzten Mal aufgeräumt und geputzt worden war.
»Meine Putzfrau ist im Urlaub«, sagte ich entschuldigend.
Sie guckte mich entsetzt an. »Deine Putzfrau?«
»Ein Scherz«, schob ich schnell nach. »Vor lauter Arbeit komme ich zu nichts.«
Der Einstieg war gründlich misslungen. Es konnte nur noch besser werden. »Möchtest du etwas
Weitere Kostenlose Bücher