Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Sechsergruppe, und von der Hafenstraße stürmte ein dritter Trupp hinzu. Offensichtlich hatte die Polizei alle sechs Verbindungsstraßen des Ludgeriplatzes abgedeckt, und man musste über keine großen analytischen Fähigkeiten verfügen, um zu erkennen, dass diesmal die Polizei vor dem Anschlag informiert worden war.
Auch die Wiedertäufer hatten inzwischen bemerkt, dass etwas schiefgelaufen war. Zunächst hatten sie sich vereinzelt und ohne große Eile vom Ort des Geschehens entfernen wollen, doch dann sahen die Ersten, dass sie eingekesselt waren. Warnrufe erschollen, einige rannten über die Grüninsel auf die Promenade zu, andere versuchten, in der Masse der Autos und der diskutierenden Autofahrer unterzutauchen. Trotz der unübersichtlichen Lage konnte ich von meinem Standpunkt aus beobachten, wie zwei Wiedertäufer überwältigt wurden.
Das alles sah und registrierte ich, aber mein eigentliches Interesse galt Mareike. Während ich nun auch zum Ludgeriplatz rannte, suchte ich verzweifelt nach ihren roten Haaren. Und dann sah ich sie. Wie ein Hase schlug sie Haken, um die beiden Polizisten an ihren Fersen abzuhängen. Ein scheinbar zweckloses Unterfangen, denn die beiden Jäger sahen nicht so aus, als würden sie konditionelle Probleme bekommen. Zwischen den Autos, auf und über Stoßstangen und Motorhauben verringerte sich mal der Abstand, mal wurde er größer. Mareike hielt sich überraschend gut. Und sie hatte Glück. Einer der beiden Polizisten rutschte von einer Stoßstange ab, machte noch ein paar Schritte, fasste sich an den Knöchel. Ausgeschieden.
Der andere Verfolger ließ nicht locker. Ich wühlte mich in die Straßenmitte, die beiden waren noch etwa zwanzig Meter von mir entfernt. Neben mir heulte ein Mercedesfahrer in sein Autotelefon. Noch fünf Meter. Mareike sah mich, stoppte einen Moment, der für sie fast verhängnisvoll geworden wäre, und rannte dann weiter. Hechelnd streckte der Polizist seine Hand aus – und griff ins Leere. Dadurch kam er etwas ins Straucheln. Ich stieß einen Schrei aus und ließ mich vor seine Füße fallen. Er wollte springen, blieb aber hängen und knallte voll gegen die geöffnete Mercedestür.
Der Aufprall verursachte ein schauerliches Geräusch. Ich kam wieder auf die Beine und sah, dass seine Nase das meiste abbekommen hatte. Sie sah irgendwie verbogen aus, und Blut tropfte auf den Hemdkragen. Der Mercedesfahrer hatte vor Schreck sein Autotelefon fallen lassen.
Ich beugte mich über den Polizisten. »Tut mir leid, ich bin ausgerutscht.«
Er fasste sich an die Nase und stieß unverständliche Laute aus. Dann wollte er aufstehen. Ich reichte ihm meinen Arm und hielt ihn dabei fest. »Tut mir wirklich sehr leid. Sie müssen sofort zum Arzt.«
»Ja, ja«, artikulierte er undeutlich. »Lassen Sie mich endlich los!«
Er lief weiter, aber deutlich langsamer und ohne festes Ziel. Denn Mareike war verschwunden.
XIV
Diesmal rechnete ich beinahe mit ihr, und sie kam tatsächlich. Zu ihrer gewohnten Zeit, zwischen Ulrich Wickert und den Spätnachrichten. Zum ersten Mal, seitdem ich sie kannte, wirkte sie überhaupt nicht cool und selbstsicher. Die Ereignisse des zurückliegenden Tages hatten offensichtlich an ihren Nerven gefressen. Sie sah noch bleicher aus als sonst, das Gesicht eingefallen, um die Augen dunkle Schatten. Mit einem Seufzer ließ sie sich auf den Sessel fallen.
»Möchtest du heute etwas trinken?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Bier, Wein, Wasser, Kaffee?«
»Ein Bier wäre nicht schlecht.«
Ich holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, dazu ein Glas für sie.
Sie nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche.
»Wo kommst du her?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht jetzt.«
Ich ließ ihr Zeit. Nach einer Weile probierte sie ein vorsichtiges Lächeln. »Danke, dass du mir geholfen hast.«
Ich machte eine Handbewegung. »War nicht weiter schwierig.«
»Wenn du ihn nicht aufgehalten hättest, säße ich jetzt im Knast.«
»Kann schon sein.«
»Und das ohne jeden Grund.«
»Du warst der Grund.«
»Dabei wolltest du dich doch nicht einmischen.« Sie grinste verschmitzt. »Hast du deine Meinung etwa geändert?«
»Nein. Ich werde keinen Aufnahmeantrag für euren Verein stellen.«
Das Lächeln verschwand, und sie seufzte wieder. »Zwei von uns haben sie erwischt. Der Rest konnte Gott sei Dank entkommen. Ich habe keine Ahnung, wieso die Bullen so schnell da waren.«
»Wirklich nicht?«, fragte ich ungläubig.
Ihr Gesicht war ein einziges
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