Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Gesicht. Das Gesicht fragte nach meinem Begehr, und ich antwortete, dass ich Bruder Martin zu sprechen wünsche.
»Zwischen Komplet und Laudes dürfen die Brüder nicht gestört werden.«
Ich fragte, wann die Laudes stattfinden würden.
»Morgen früh um fünf Uhr zwanzig.«
»So lange kann ich nicht warten. Es geht um eine dringende Familienangelegenheit.« Ich reichte meine Visitenkarte durch die Öffnung. »Geben Sie ihm bitte meine Karte! Dann macht er sicher eine Ausnahme.«
Das Gesicht bedankte sich höflich und schloss die Klappe.
Ich musste nur ungefähr fünfzehn Minuten warten, bis sich die ganze Tür öffnete. Das Gesicht gehörte zu einem hageren, von den Entbehrungen des Klosterlebens gezeichneten Mönch. Mit stoischer Miene geleitete er mich durch das wie ausgestorben wirkende Kloster. Schließlich schloss er eine schwere Holztür auf, die von dem unzureichend beleuchteten Kreuzgang in eine kahle, weiß gekalkte Zelle führte. Unter der Decke brannte eine einzige Glühbirne. Bis auf zwei Stühle und ein Wandkreuz war die Zelle leer.
Ich war verblüfft. »Und wo ist Bruder Martin?«
»Er wird gleich kommen. Warten Sie bitte hier!«
Der Mönch zog die Tür hinter sich zu, und dann hörte ich das Geräusch eines zuschnappenden Schlosses. Man konnte es drehen oder wenden, wie man wollte, aber ich war eingesperrt.
Die Stühle waren fürchterlich unbequem, in einem Benediktinerkloster durfte wohl nicht einmal das Sitzen zum Vergnügen werden. Und Martin kam und kam nicht.
Nachdem ich auf beiden Stühlen Probe gesessen hatte, stellte ich sie so auf, dass ich meine Beine hochlegen konnte. Ob ich in dieser Stellung bis zu den Laudes ausharren musste? Ich befühlte den kalten Steinfußboden. Er stellte keine Alternative dar.
Alle, mit denen ich bei diesem verrückten Fall, in den ich unfreiwillig hineingezogen worden war, zu tun hatte, wollten mich einsperren: zuerst die Wiedertäufer, dann die Polizei, und jetzt die Benediktiner. Mit der beängstigenden Tendenz, dass die Gefängnisse von Mal zu Mal unkomfortabler wurden.
Solchen unerfreulichen Gedanken nachhängend, das Gewicht ab und zu verlagernd, um die schmerzende Wirbelsäule zu entlasten, verbrachte ich die nächste Stunde. Da, endlich, hörte ich Schritte auf dem Gang. Sofort war ich auf den Beinen. Mein Retter nahte.
Aber es war nicht Martin, der hereinkam. Die schwarze Soutane gehörte einem alten Bekannten, den ich so schnell nicht wiedersehen wollte. Monsignore Kratz genoss es dafür umso mehr, mich in dieser unwürdigen Situation zu sehen.
»Damit haben Sie wohl nicht gerechnet, wie?«, schnarrte seine hohe Fistelstimme.
»Nein, bei Gott nicht.«
»Lassen Sie Gott aus dem Spiel! Das klingt aus Ihrem Mund wie Lästerung.«
Mit einer Handbewegung bedeutete er mir, mich wieder hinzusetzen.
»Nein, danke, ich stehe lieber.«
»Oh, war es unbequem für Sie?«
»Die Gefängnisse in Indien sollen vergleichsweise gemütlich sein.«
»Die strengen Klosterregeln, Herr Wilsberg, das müssen Sie verstehen. Ein Besucher kann hier nicht einfach herumlaufen.«
»Beim nächsten Mal werde ich daran denken. Und jetzt möchte ich nach Hause.«
Ich wollte an ihm vorbei, aber er versperrte mir den Weg. »Sie haben nach Bruder Martin gefragt?«
»Was geht Sie das an?«
»Es gibt da ein Problem: Bruder Martin weilt nicht mehr in diesem Kloster.«
»So? Warum nicht?«
»Er hat den Prior gebeten, zur Erzabtei reisen zu dürfen. Der dortige Abt ist der frühere Beichtvater von Bruder Martin.«
»Und Sie kommen extra aus Münster angefahren, um mir das zu erzählen?«
Der Monsignore faltete die Hände vor dem Bauch. »Ich wollte Sie warnen. Mischen Sie sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche. Was immer Bruder Martin getan haben mag, es geht nur ihn, seinen Abt und Gott etwas an.«
»Ach, auf einmal«, höhnte ich. »Könnte es nicht sein, dass Sie zusammen mit Martin die Geschichte ausgekocht haben. Und jetzt, wo es brenzlig wird, ziehen Sie ihn aus dem Verkehr.« Ich griff zur Türklinke. »Auf Wiedersehen!«
»Der Prior hat uns auf einige Merkwürdigkeiten im Verhalten des Bruder Martin aufmerksam gemacht«, sagte Kratz hastig. »Noch bevor wir ihn dazu befragen konnten, ist er, anders kann man es wohl nicht nennen, geflüchtet.«
»Martin war Ihr Mann«, entgegnete ich wütend. »Sie wussten von Anfang an Bescheid.«
Kratz schüttelte den Kopf. »Sie sind verblendet, Herr Wilsberg. Die Kirche würde so etwas nie tun.« Er trat zur
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