Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
dabei war, den letzten Strohhalm, an dem er sich festhalten konnte, zu knicken. »Ich meine, bringen Sie mir erst mal ein Ergebnis, dann sehen wir weiter.«
»Fünftausend«, sagte ich.
Bevor Poppelhove den Mund aufmachen konnte, antwortete Gabi: »In Ordnung.« Und zu ihrem Chef: »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
Und endlich sah Poppelhove so alt aus, wie er tatsächlich war.
VIII
Als Ersten nahm ich mir Charly Rommersberger vor. Aus dem einfachen Grund, weil er vor dem Abendessen noch zusammenhängende Sätze herausbrachte.
Von meiner Idee, einen kleinen Spaziergang zu machen, war er wenig begeistert: »Ich brauch was zu trinken. Ich bin fix und fertig. Um ein Haar wär der Typ abgekratzt.«
»Sie brauchen immer was zu trinken, egal ob jemand abkratzt oder nicht.«
»Und wenn schon! Wüsste nicht, was Sie das angeht.«
»Kommen Sie! Sie haben doch gehört, was Poppelhove gesagt hat.«
»Der kann mich mal.« Aber die Drohung half. Nach einem schmachtenden Blick auf die Treppe zur Hotelbar stapfte er hinter mir her. »Okay, machen Sie’s kurz! Ich steh nicht auf Spaziergänge. Das erinnert mich an die Zeit, als ich beim Laufen noch meine Schuhe sehen konnte.«
Ich kam direkt zur Sache: »Was halten Sie von den Unfällen der letzten Tage?«
»Blöde Zufälle.«
»Zwei Zufälle in drei Tagen? Ist das nicht ein bisschen viel?«
»Die Filmerei ist ein merkwürdiges Geschäft. Da passieren die seltsamsten Sachen. Schauen Sie, auch einige Hollywood-Größen mussten schon ins Gras beißen. Ganz zu schweigen von Stuntmännern. Manchmal werben die regelrecht damit, wie viel Stuntmänner hopsgegangen sind. Francis Ford Coppola, zum Beispiel ...«
»Und der Gedanke, dass jemand aus der Crew dahinterstecken könnte, ist Ihnen nicht gekommen?«
»Sie meinen, so ein kleines Arschloch, das seinen Spaß daran hat, einen nach dem anderen abzumurksen?«
»Vielleicht.«
Er atmete schwer. »Rennen Sie nicht so! Ich bin doch kein Dauerläufer.«
Ich blieb stehen.
»Ja, daran gedacht habe ich schon. Aber ich habe keine Ahnung, wer es sein könnte. Ehrlich.«
»Wie stehen Sie zu Becher?«, fragte ich.
»Karl-Heinz Becher ist ein Vollprofi. Er macht seine Arbeit gut.«
Ich steckte mir einen Zigarillo an und ging langsam weiter. »Danach habe ich nicht gefragt.«
Schnaufend setzte sich Rommersberger in Bewegung. »Mir reicht es, wenn die Schauspieler ihren Job erledigen. Ich muss sie deswegen nicht lieben, oder?«
»Aber seine Frau haben Sie geliebt.«
»Ach das.« Seine Lunge pfiff. »Das ist lange her.«
»Vergeben und vergessen?«
»Weder vergeben noch vergessen. Aber ich kann damit leben. Ich muss ihn deswegen nicht umbringen.«
»Man hat mir erzählt, dass Sie ein Choleriker sind.«
»Schluss!« Er japste. »Ich gehe keinen Schritt weiter.« Schwerfällig setzte er sich auf die Wiese, die den Hang bedeckte, welcher zum See hinunterführte. Ich hockte mich neben ihn.
»Es wird viel geredet.« Er nahm die Baseballmütze mit der Aufschrift Your Ass Is A Park ab. Auf seiner Stirn standen dicke Schweißtropfen. »Ja, es stimmt. Ich habe Maria geliebt. Und ich habe Becher gehasst, als er sie mir weggeschnappt hat. Vielleicht hätte ich ihn damals umbringen können. Aber heute nicht mehr. Gucken Sie mich an! Ich bin ein versoffener alter Mann. Wissen Sie eigentlich, wen Sie vor sich haben?«
Er wartete die Antwort nicht ab. »Ich habe als Regieassistent mit Fassbinder gearbeitet. Ja, Sie haben richtig gehört: Rainer Werner Fassbinder. Die Filme mit ihm waren ein Rausch. Im doppelten Sinn. Alle nahmen Drogen, die Schauspieler, die Crew, Fassbinder sowieso. Tagsüber schluckte er Aufputschmittel und schnupfte Koks, nachts lutschte er Schlaftabletten wie Bonbons, um wenigstens ein paar Stunden Schlaf zu finden. Mehr als einmal haben wir gedacht, dass er nicht mehr aufwacht.
Und wir berauschten uns an der Arbeit. In wenigen Wochen entstand ein Spielfilm. Ernsthafte Kunst. Die Leute standen Schlange vor den Kinokassen, um das zu sehen, was wir gemacht hatten. Wir drehten immer weiter, immer teurer, immer größer, bis ... na ja, das Ende kennen Sie.
Ich habe dann angefangen, eigene Filme zu machen. Mit kleinem Budget und großem Anspruch. Kennen Sie Die Brücke über den Anbach? «
Ich musste verneinen.
»Hat einen Preis geholt, auf dem Filmfest von Locarno. Der Preis reichte, um den nächsten Film zu drehen. Leider wurde er ein Flop. Ich begann mit dem dritten Film. Mitten in den Dreharbeiten stieg
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