Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
Anrufen zu allen möglichen Tages- und vor allem Nachtzeiten belästigte, ihnen Päckchen mit so liebenswürdigen Geschenken wie toten Ratten und menschlichem Kot schickte oder ihre Fensterscheiben mit Blut bekleckerte. Die zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißten Familien engagierten mich, um den offensichtlich neurotischen Nachbarn ausfindig zu machen. Doch jedes Mal, wenn ich mir in der Einfamilienhaussiedlung eine Nacht um die Ohren schlug, passierte rein gar nichts. Das brachte mich auf den Verdacht, dass einer meiner Auftraggeber der Übeltäter sein könne. Vorsichtig recherchierte ich die Familiengeschichten, und tatsächlich stieß ich nach einiger Zeit auf einen braven Vater und Ehemann, der bei einem Rechtsstreit um die Abholzung einiger Bäume gegen einen Nachbarn den Kürzeren gezogen hatte. Darauf hing ich mich mehrere Tage lang an die Fersen oder Autoreifen des Verdächtigen. Kurz und schlecht, irgendwann drehte er den Spieß um und verfolgte mich. Genauer gesagt, zunächst verfolgte er mich nur, dann versuchte er, meinen Wagen (ein stabilerer Vorgänger der Ente) von der Straße zu drängen.
In der Realität endete der Schubser recht harmlos. Ich landete mit einem Achsenbruch, aber unverletzt, im Graben. In der Fernsehfassung musste sich der Wagen natürlich ein paar Mal überschlagen und in Flammen aufgehen, nachdem ich mit letzter Kraft herausgekrochen wäre.
Da ich nicht den Ehrgeiz hatte, Jean Paul Belmondo nachzueifern (der es bekanntlich bis ins hohe Alter ablehnte, sich in gefährlichen Situationen doubeln zu lassen), stand ein Stuntman bereit, um mich während der Rollertour zu ersetzen.
Zunächst aber musste ich hinter das Steuer. Der Kameramann saß neben mir und lichtete mich im Profil ab, bis zum finalen Entsetzensschrei. Dann setzte er sich auf den Rücksitz, und wir wiederholten das Ganze, wobei er die Kamera abwechselnd auf den Rückspiegel (mit meinen schreckensgeweiteten Augen) und das nachfolgende Auto hielt.
Als der Kameramann und Rommersberger mit den Aufnahmen zufrieden waren, stieg der Stuntman in seinen gepolsterten, feuerfesten Anzug und setzte einen Helm auf. In der entscheidenden Kurve hatte man eine Rampe unter einer Grasdecke versteckt, und jenseits der Böschung sollten Strohballen den Aufprall mildern. Das Dach des Wagens war stahlverstärkt, und nach menschlichem Ermessen durfte nichts schiefgehen. (Aber was ist schon menschliches Ermessen?)
Ich spürte, wie die Spannung in der Crew wuchs. Letzte Anweisungen wurden gebrüllt. Immerhin konnte man die Szene nur einmal drehen, Alles auf Anfang! war bei einem Schrottauto schlecht möglich. In diesem Moment hätte ich meine Lebensversicherung verpfändet, um nicht mit dem Kerl im Auto tauschen zu müssen. Aber Nick, wie er sich nannte, blieb cool. Den Daumen nach oben gestreckt, kletterte er todesmutig in die PS-Schleuder.
Und dann ging alles sehr schnell. Nick beschleunigte, fuhr in der Kurve geradeaus, die beiden rechten Räder rollten über die Rampe, der Wagen drehte sich erst langsam, dann schneller werdend nach links, schlitterte ein Stückchen auf dem Dach, drehte sich noch einmal um dreihundertsechzig Grad und blieb krachend mit den Rädern nach oben liegen.
Unmittelbar danach ereignete sich eine Explosion, und aus dem Motorblock schoss eine zwei Meter hohe Flamme. Unplanmäßig, denn der Stuntman hing immer noch hilflos in den Sicherheitsgurten.
»Feuerlöscher!«, schrie Rommersberger. »Wo sind die verdammten Feuerlöscher?«
Zwei Helfer rannten zum brennenden Wrack und versuchten, die Flammen mit Schaum zu ersticken. Einem gelang es, die Wagentür zu öffnen, und Nick purzelte halb heraus.
Alles schrie durcheinander, auch Nick schrie, allerdings vor Schmerzen. Mit vereinten Kräften schafften es die beiden Helfer, den Stuntman aus den Gurten zu befreien und ihn aus der Gefahrenzone zu schleifen, bevor sich das Wrack mit einer zweiten Explosion endgültig in einen Haufen Sondermüll verwandelte.
Nick war offenbar nicht schwer verletzt. Er hatte ein paar leichte Verbrennungen abbekommen, die jedoch unglaublich schmerzhaft sein mussten. Mit verzerrtem Gesicht kreischte er: »Da war Benzin im Tank. Ich habe doch ausdrücklich gesagt, es darf kein Benzin im Tank sein.«
»Gabi!«, brüllte Rommersberger. »Wieso war Benzin im Tank?«
»Ich weiß es nicht«, verteidigte sich Gabi. »Ich habe dem Fahrer befohlen, den Tank leer zu fahren und dann eine kleine Menge nachzufüllen.«
Der
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