Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
meiner Magisterarbeit lautete: Der Einfluss des Fernsehkonsums auf das gesellschaftliche Bewusstsein von Lohnabhängigen .«
»Ich lache nicht. Schließlich habe ich Jura studiert.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Und dann laufen Sie sich die Füße platt, um Versicherungsbetrüger zu schnappen?«
»Warum nicht? Sie arbeiten ja auch an der Verblödung des Fernsehvolks.«
Wir sahen uns an, bis ihm einfiel, dass es einen Grund für meine Anwesenheit in seinem Zimmer geben musste.
»Was wollen Sie von mir, Herr Wilsberg?«
»Ich untersuche die seltsamen Unfälle der letzten Tage.«
»Ich weiß. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich Ihnen dabei helfen kann.«
»Haben Sie ein Interesse am wirtschaftlichen Niedergang von Mega Art? «
»Warum sollte ich? Mega Art ist eine Produktionsfirma wie jede andere auch. Wir arbeiten zusammen, solange das Ergebnis stimmt.«
»Sie haben Mega Art zugesagte Aufträge wieder entzogen.«
Seine Stirn kräuselte sich. Das Gespräch lief in eine Richtung, die ihm nicht behagte. »Das stimmt. Der letzte Zweiteiler, den Mega Art für uns produziert hat, war schlampig gemacht. Es wimmelte von falschen Übergängen, und die Tonqualität war an einigen Stellen katastrophal. Poppelhove hat am falschen Ende gespart, und das konnte ich ihm nicht durchgehen lassen.«
»Sie wollen den Job wechseln und selber Produzent werden, habe ich gehört.«
Er verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. »Die Sache ist noch nicht spruchreif. Hängt von den Konditionen ab, die mir eingeräumt werden.«
»Wer hat die Aufträge bekommen, die Mega Art zugedacht waren? Ihre zukünftige Produktionsfirma?«
Die Sekunden dehnten sich, bevor er antwortete: »Das ist ein Betriebsgeheimnis. Ich wüsste nicht, wieso ich das mit Ihnen erörtern sollte. Und jetzt gehen Sie bitte! Ich habe zu tun.«
Während ich über das Parkett schritt, schaltete er den Ton wieder auf volle Lautstärke. Die zweite Kommissarin stritt sich mit ihrem Freund über eine der großen Sinnfragen unserer Zeit: Soll man den Müll getrennt sammeln oder nicht?
Zur Abwechslung hatte sich diesmal Gabi abgeschossen. Ich merkte es erst, als sie sich in der Hotelbar neben mich setzte, ihre Hand auf meine legte und etwas zu laut und eine Spur zu schwerfällig fragte: »Kommst du mit?«
Obwohl ihr Blick unzweideutig war, fragte ich trotzdem: »Wohin?«
Sie kicherte. »Dreimal darfst du raten.«
Da sich bereits die halbe Crew für uns interessierte, willigte ich ohne weitere Diskussion ein. Ich wusste selbst nicht, was ich wollte, also konnte ich auch einfach bis zu dem Punkt mitmachen, an dem ich es herausfand.
Unter zumeist spöttischen Blicken bummelten wir zum Ausgang und die Treppe hinauf. Im Aufzug legte Gabi ihre Arme um meinen Hals. »Seitdem wir im Venner Moor waren, habe ich daran gedacht. Du hast mich ziemlich angemacht, weißt du das?«
Sie gab mir einen hochprozentigen Kuss.
»Du bist betrunken. Vielleicht solltest du noch einmal eine Nacht darüber schlafen.«
Der Aufzug plingte und hielt an.
»Quatsch.« Sie zog mich nach draußen.
»Ich hasse die Morgen, an denen man nicht weiß, was man sagen soll.« Ich half ihr beim Öffnen der Zimmertür.
»Wir kennen uns lange genug. Außerdem sind wir keine Teens oder Twens mehr.«
Ihr Zimmer oder Büro sah noch unaufgeräumter aus als bei meinem letzten Besuch. Mit einer Handbewegung wischte sie einen Stapel Papiere vom Sofa.
»Was willst du trinken?«
»Wasser.«
»Wasser?« Sie wippte gefährlich vor dem Kühlschrank. »Weißt du, was W. C. Fields gesagt hat? Ich trinke doch nicht etwas, in dem Fische vögeln .«
»Er sagte auch: Menschen, die Hunde und Kinder hassen, können nicht ganz schlecht sein .«
»Den kannte ich noch nicht.« Mit zwei Flaschen Perrier und einer Flasche Jack Daniel’s kehrte sie zum Sofa zurück. Sie mischte ihren Drink zwei zu eins, zwei Drittel Whisky und ein Drittel Wasser.
»Hast du eine Frau oder Freundin?«
»Nicht direkt.«
Gabi verschluckte sich. »Geht so was auch indirekt?«
»Sie sitzt im Gefängnis. Ich besuche sie alle vier Wochen. Unsere Beziehung ist etwas platonisch, wie du dir vorstellen kannst.«
»Du Ärmster. Dann bist du ja völlig ausgehungert.« Ihre Finger nestelten an meinem Gürtel.
»Es geht so. In meinem Alter hat man die Hormone meistens unter Kontrolle.«
»Das werden wir sofort feststellen.« Ihre rechte Hand arbeitete sich weiter vor, und tatsächlich konnte ich nicht leugnen, dass ein gewisser Teil von mir
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