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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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der Produzent aus. Wir standen auf dem Set und hatten kein Filmmaterial mehr. Das war das Ende meiner Karriere als Filmregisseur.
    Ich stürzte endgültig ab und soff mich fast zu Tode. Irgendwann begriff ich, dass es so nicht weiterging, und machte eine Entziehungskur. Danach kamen die ersten Aufträge vom Fernsehen. Am Anfang hatte ich Probleme damit, diese Mickey-Mouse-Filme zu drehen, jetzt nicht mehr. Hier drin«, er klopfte gegen seine mächtige Brust, »ist etwas kaputtgegangen. Das schmerzt viel mehr als Karl-Heinz Becher oder meine Exfrau. Glauben Sie mir, ich will ihn nicht umbringen. Und was für einen Grund sollte ich haben, auch noch den Stuntman zu beseitigen?«
    Womit er zweifellos ein Argument auf seiner Seite hatte.
    »Haben Sie mal daran gedacht, wieder einen Kinofilm zu machen?«, fragte ich, als wir zurückzuckelten.
    »Es ist sinnlos. Das Einzige, was noch geht, sind Komödien. Die Hoffnungen des deutschen Films ruhen auf Jürgen von der Lippe und Helge Schneider. Das sagt doch alles. Es gibt keine deutsche Filmindustrie mehr. Und der Europäische Film ist eine Schimäre. Hollywood hat sich ein weltweites Monopol geschaffen. Die Studiobosse haben die Filmkunst ausgesaugt wie Vampire. Immer mehr Geld, gigantischere Kulissen, ausgefeiltere Effekte, wahnsinnigere Stunts. Einfache Geschichten, Menschengeschichten haben keine Chance mehr. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und dann dieser unsägliche Starkult. Ob Julia Roberts einen neuen Lover oder eine Fehlgeburt hat, interessiert die deutschen Kinobesucher heute mehr als der neue Wim Wenders.
    Natürlich gibt es noch ein paar, die sich gegen den Trend stemmen. Bernhard Wicki etwa, die Trotta oder Brandauer. Aber wo landen die? In einem kleinen Programmkino vor zwanzig Zuschauern in der Nachtvorstellung. Glauben Sie, da macht es noch Spaß, einen Kinofilm zu drehen?«
    In Heri Wildkats Zimmer lief der Fernseher. Und der Redakteur schaltete ihn auch nicht aus, nachdem er mich etwas unwillig hereingebeten hatte. Seine einzige Konzession an meine Anwesenheit war ein Druck auf die Fernbedienung, mit dem er den Ton leiser stellte.
    »Ich schaue mir gerade eine neue Serie der Konkurrenz an. Man muss auf dem Laufenden bleiben. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«
    Ich warf einen Blick auf den Bildschirm. Zwei Frauen beugten sich über eine halb entblößte Männerleiche.
    »Frauen sind groß im Kommen. Bald gibt es nur noch Kommissarinnen«, kommentierte er.
    »Ist ja fast wie im wirklichen Leben«, sagte ich. »Mit Frau Tecklenburg ist mir die erste Kommissarin begegnet. Allerdings hat sie mich nicht sonderlich begeistert.«
    »Was verlangen Sie?«, knurrte Wildkat.
    »Vom Leben oder vom Fernsehen?«, fragte ich zurück.
    Er lächelte gequält. »Ich kann nur über das Zweite sprechen. Und da dürfen die Kommissarinnen nicht zu schön sein, sonst nimmt man ihnen die Rolle nicht ab. Für die Männer sollen sie zwar etwas Bein zeigen, aber die Frauen bevorzugen den mütterlichen Typ.«
    »Woher wissen Sie das so genau?«, fragte ich.
    »Umfragen, Testvorführungen. Glauben Sie, wir produzieren ins Blaue hinein? Nein, das wird genau erforscht. Welche Altersgruppe sieht am liebsten welche Art von Verbrechen und so weiter.«
    »Und ich dachte, da lässt sich jemand was einfallen«, staunte ich.
    Er lachte halbherzig. »Das war einmal. Heute werden Fernsehserien industriell produziert. Es gibt inzwischen schon Computerprogramme, die nahezu selbstständig Drehbücher schreiben. Autoren werden bald überflüssig.«
    »Führt das nicht dazu, dass sich das Niveau auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einpendelt?«
    Er nickte. »Ganz richtig. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es nur noch zwei Arten von Serien gibt, in denen sich die gesellschaftliche Realität spiegelt? Familien- und Polizeiserien. Alles andere existiert nicht, weil es die Leute nicht sehen wollen. Das ist das Diktat der Quote. Was floppt, fliegt raus. Knallhart. Und was die Leute nicht kennen, können sie sich auch nicht wünschen. Im Endeffekt kriegen Sie eine Abwärtsspirale auf der nach unten offenen Geschmacksskala.«
    Die Musikuntermalung signalisierte, dass es nun spannend würde. Ein Verdächtiger kletterte über ein Gerüst, eine der beiden Kommissarinnen hinterher. Sie zog ihre Pistole aus dem Halfter – und dann kam die Werbepause.
    Wildkat drückte den Ton nun ganz weg. »Ich habe mich übrigens theoretisch damit beschäftigt. Sie werden lachen, aber ich bin Soziologe. Das Thema

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