Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
Vom Netzwerk:
nutzte jede Gelegenheit, um seine mitfühlende Hand auf Giselas Schulter zu legen.
    »Wir wollen doch warten, bis die Sitzung angefangen hat«, rügte ich die beiden. »Noch haben wir Freizeit.« Und bestellte einen Öko-Kaffee.
    Nach und nach trudelten Bernd, Johanna und Sebastian ein. Als wir die obligatorischen zwanzig Minuten überzogen hatten, beschlossen wir, in die vierte Etage hinaufzusteigen und mit unserer Gruppensitzung anzufangen.
    »Ich habe Arni getroffen«, begann Gisela. Arni war, wie wir wussten, Giselas ehemaliger Lebensabschnittsgefährte, ihr ehemaliger Saufkumpan und der Grund für die anhaltende Trinkerei nach der Trennung.
    »Was ist passiert?«, fragte Walter besorgt.
    Gisela senkte den Kopf. »Ich bin rückfällig geworden.«
    »Oh nein«, stöhnten wir unisono.
    »Nur das eine Mal«, verteidigte sie sich. »Jetzt habe ich mich wieder im Griff. Arni ist einfach nicht gut für mich.«
    »Aber das wusstest du doch schon vorher«, sagte Bernd.
    »Ich denke, Arni ist auch trocken«, ergänzte Johanna.
    Gisela erzählte stockend: »Er hat es nicht durchgehalten. Er trinkt mittlerweile genauso viel wie vorher. Und – wie soll ich euch das erklären – ich war auf die Begegnung nicht vorbereitet, es traf mich wie ein Blitz. Alles kam wieder hoch, vor allem die schönen Stunden.«
    Walter verdrehte die Augen.
    »Als er vorschlug, zur Tanke zu gehen und ein paar Flaschen zu holen, war ich wie gelähmt. Ich wusste, dass es der Untergang sein würde, aber ich konnte nicht Nein sagen. Und nach dem ersten Schluck war sowieso alles vorbei.«
    »Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte Walter.
    »Beschissen. Hier oben«, sie presste die Hand gegen den Oberkörper, »sitzt ein ungeheurer Druck. Nachts wache ich schweißgebadet auf.«
    »Du musst kämpfen«, sagte Johanna.
    »Tu ich doch, verdammt noch mal.« Gisela schrie fast. »Was denkst du denn, was ich mache?«
    »Und du schaffst es«, meinte Bernd mit Nachdruck.
    Reihum versicherten wir ihr, dass sie es packen würde. Gisela fing an zu weinen, erst leise, dann immer lauter werdend, bis Rotz und Wasser flossen und sie sich auf dem Stuhl zusammenkrümmte.
    Walter wollte ihr helfen, aber wir bedeuteten ihm, auf seinem Platz zu bleiben.
    Nach fünf Minuten war es vorbei. Gisela putzte sich die Nase und schenkte uns ein zaghaftes Lächeln. »Danke. Ihr habt mir geholfen. Jetzt fühle ich mich besser.«
    Sebastian ergriff als Nächster das Wort: »Die ganze Gesellschaft ist verpilzt. Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht? Pilze überall: an den Füßen, unter den Achseln, an den Genitalien.«
    »Im Wald«, warf Johanna ein.
    »Das ist überhaupt nicht witzig«, regte sich Sebastian auf. »Ich habe Angst, dass ich langsam verschimmele.«
    »Mir machen mehr die Pilse zu schaffen, die man in Gläser oder Flaschen füllen kann«, meinte Bernd.
    Sebastian stand auf. »Ihr seid blöd. Ich erzähl euch von meinen Problemen, und ihr macht euch darüber lustig. Wenn ihr das nicht hören wollt, macht doch euren Scheiß alleine!«
    »Setz dich wieder!«, sagte Johanna begütigend. »Natürlich interessieren wir uns für deine Probleme. Nur, dass du jede Woche mit einer neuen Krankheit kommst. Letzte Woche war es Tuberkulose, davor Aids. Unsere Gruppensitzungen sind einfach zu kurz, um darauf ausführlich einzugehen.«
    Sebastian setzte sich wieder. »Es beschäftigt mich eben«, sagte er etwas kleinlauter.
    Bernd, von Beruf Diplom-Psychologe, war unser großer Analysator: »In Wirklichkeit ist die Sucht dein Problem. Du projizierst sie auf irgendwelche Modekrankheiten, um dich nicht mit dir selbst zu beschäftigen.«
    Irgendwann sah Sebastian das ein und gelobte Besserung (nicht zum ersten Mal). Dann erzählten die anderen, wie sie die letzte Woche überlebt hatten, bis ich an die Reihe kam und von meiner Versuchung vor der Kühlbox im Gallitzin berichtete. Alle lobten mich für meine Standhaftigkeit, und kurz darauf, nachdem wir Johanna ausgeguckt hatten, die einen Artikel über unsere Gruppe für die Kriseninterventionszeitung schreiben sollte, war die Sitzung auch schon zu Ende.

XII
    Im Speisesaal des Gallitzin lutschten noch einige Filmleute an ihren Desserts. Ich setzte mich zu Katinka Muschwitz und Dieter Pierchowiak an den Tisch und befahl dem sofort herbeistürzenden Kellner, mir unter Weglassung der Vor- und Nachspeise ausschließlich den Hauptgang des Mega Art -Einheitsmenüs zu bringen.
    »Sehr gerne.«
    »Noch eins: Bringen Sie mir das Kalbsrückenfilet

Weitere Kostenlose Bücher