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Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
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ich das akustische Pendant zum unsittlichen Treiben auf dem Japan-Tisch. Wenn Graulocke kein nebenerwerbsmäßiges Freudenhaus betrieb, konnte ich nur noch wenige Schritte von Yvonne und ihrem Beischläfer entfernt sein.
    Die entsicherte Kamera in Position, drückte ich vorsichtig die Türklinke runter. Den Geräuschen nach zu urteilen, hörten die beiden nicht auf mit dem, was sie gerade machten. Und das Bild, das sich mir durch den Türspalt bot, bestätigte alle Erwartungen: Rittlings hockte Yvonne auf Schlafzimmerblick und imitierte einen lockeren Trab. Schlafzimmerblick umklammerte derweil ihre Hüften und gab grunzende Laute von sich.
    Leider wandte mir Yvonne den Rücken zu. Kein besonders aussagekräftiges Motiv für ein Auf-frischer-Tat-Foto. Doch nicht nur reine Pietät hielt mich an der Tür fest.
    Dreimal auf den Auslöser zu drücken, war eine Sache von zwei Sekunden. Ich war überrascht, wie laut es klickte. Und Yvonne und Schlafzimmerblick waren auch überrascht. Mit dem vierten Schnappschuss erwischte ich Yvonnes Gesicht, das sie zur Tür drehte, bevor sie schrie: »Da ist einer!«
    »Was?«, blökte Schlafzimmerblick und schob sie zur Seite. Und dann machte ich mich auch schon auf die Socken.
    Womit ich absolut nicht gerechnet hatte, war Graulocke, der nackt, wie Gott oder wer auch immer ihn geschaffen hatte, im Flur stand.
    »Stehen bleiben!«, donnerte er und nahm eine Art Sumo-Ringer-Stellung ein, die ich unter anderen Umständen lächerlich gefunden hätte. Im Moment verspürte ich allerdings keinerlei Anflug von Heiterkeit, zumal ich das Poltern hinter mir mit Schlafzimmerblick in Verbindung brachte.
    Ich hätte Graulocke in eine Diskussion verwickeln können, ich hätte ihm auch einen fairen Ringkampf liefern können, aber rein instinktiv entschied ich mich für die unfaire, zeitsparende Lösung: Ich trat ihm voll in die Eier.
    Graulocke heulte auf und knickte ein wie junger Bambus im Taifun. Links von mir kreischte Isabell. Ich überlegte. Sollte ich zur Vordertür, die nur wenige Meter von mir entfernt war und den kürzesten Weg zur Ente darstellte? Da bestand die winzige Chance, dass die Tür verschlossen war. Und dann hätte ich anderthalb gesunde Männer und ein bis zwei Frauen gegen mich gehabt, mehr, als ich ohne Hilfsarmee oder schwere Bewaffnung vertragen konnte.
    Also nahm ich den bekannten und ungefährlichen Weg durch den Keller, schlug mich bis zur rückwärtigen Seite des Gartens durch, überkletterte erst einen Gartenzaun und dann den nächsten, rannte schließlich so lange, bis ich sicher war, dass mir niemand folgte.
    Der Nachteil dieser Run for cover-Aktion bestand darin, dass ich ein paar Stunden im friedlichen Sankt Mauritz verbringen musste. Einfach in die Ente zu steigen und zu einem Nachttrunk ins Gallitzin zu fahren, verbot sich schon durch das entfernte Heulen einer Sirene, die mit größter Wahrscheinlichkeit auf einem Polizeiwagen befestigt war.
    Ich ergriff die Gelegenheit zu einem ausgedehnten Spaziergang durch den Wald auf beiden Seiten des Prozessionsweges, zählte Millionen Sterne am Himmel und drei jugendliche Liebespaare auf und an der Erdoberfläche. Gegen Mitternacht hielt ich die Zeit für reif genug, einen Blick auf die Straße vor Graulockes Villa zu werfen. Wie ausgestorben wirkte die ganze Gegend, und das war mir durchaus recht. Ohne Umschweife fuhr ich davon.
    Während der Fahrt tagträumte ich von schäumenden Bieren. Meine Kehle war wie ausgedorrt, ich konnte das Bier sogar riechen. Seit drei Monaten hatte ich keinen Tropfen Alkohol angerührt, aber die Sucht war deswegen nicht geringer geworden. In Augenblicken wie diesem war ich nur hauchdünn davon entfernt, sämtliche Vorsätze zu vergessen und mich hemmungslos zu betrinken.
    Stattdessen bestellte ich beim Barmann einen Erdbeer-Milchshake. Die Filmleute hatten sich weitgehend in ihre kuscheligen Betten verzogen, nur die unentwegten Saufnasen hingen hier unten herum.
    Der Barmann shakte, spießte eine Erdbeere auf und griff nach einem weiteren Stäbchen mit glitzernden Fransen.
    »Lassen Sie das!«, sagte ich. »Ich will das Zeug trinken, nicht damit spielen.«
    »Natürlich«, gab er pikiert zurück. »Aber warum darf es nicht ein bisschen ansprechend aussehen?«
    »Weil ich mein Bier früher auch ohne Fähnchen getrunken habe«, bemerkte ich.
    Aus Rache entfernte er zusätzlich die Erdbeere und knallte das Glas auf die Marmortheke. »Bitte, der Herr!«
    Ich kippte den halben Shake und blickte

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