Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss

Titel: Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Kehrer
Vom Netzwerk:
gerückt. (Nach meinem Empfinden sah der Ufersteg des Gallitzin überhaupt nicht nach Bodensee aus, aber das war schließlich nicht mein Problem.)
    Anschließend gab es ein rustikales Mittagessen aus der Schlossküche (soufflierter Zander auf Safranschaum), und dann schipperten Meyer, Muschwitz und die Crew auf den See hinaus, um ein Loch in den Rumpf zu bohren. Ich schnappte mir den Requisitenheini mit der knackengen Lederhose und quetschte ihn über die Unglückspistole aus. Sie hatte in einer Kammer gelegen, zu der, außer dem Hotelpersonal, fünf Mitglieder der Filmcrew einen Schlüssel besaßen, darunter auch Charly Rommersberger.
    Für den Nachmittag stand bei mir nichts auf dem Drehplan, ich nutzte die Gelegenheit, um mich erneut zu absentieren. Den am Abend zuvor verschossenen Film brachte ich in ein Fotogeschäft meines Vertrauens, zahlte eine freiwillige Schmutzprämie, da es sich möglicherweise um pornografische Bilder handelte, und schaute auf eine Cola im Alcatraz vorbei.
    Norbert wienerte die Theke, an heißen Sommernachmittagen wie diesem lief das Geschäft eher mäßig. Wer nicht gerade in Badehose auf dem Balkon oder im Garten lag, ein kühles Getränk in Griffweite, den trieb es allenfalls in einen Biergarten, wo man den Kellnerinnen beim Schwitzen zusehen konnte.
    »Immer noch trocken?«, fragte Norbert, als er mir die Cola brachte.
    »Klar«, grinste ich ihn an. »Und so wird es auch bleiben.«
    »Hätte nicht gedacht, dass du das schaffst«, kommentierte er anerkennend.
    »Ich war ein halbes Jahr im Gefängnis«, erinnerte ich ihn. »Da haben sie mich auf Entzug gesetzt.«
    »Schon. Aber nachher hast du doch wieder angefangen.«
    »Stimmt. Doch da wusste ich, dass ich ohne Alkohol leben kann. Und stand vor der Wahl, entweder vollkommen den Boden unter den Füßen zu verlieren oder mich noch einmal aufzurappeln. Inzwischen bin ich soweit, dass die Vorstellung von Zukunft keine Ansammlung von Albträumen mehr ist.«
    Norbert nickte. »Ich kenn das Problem. Viele Wirte sind ihre besten Kunden. Guck dir die Kneipiers mal an! Lauter Schwabbelbäuche. Jenseits der vierzig setzt jeder Tropfen Alkohol an.«
    »Was macht eigentlich Anna?«, wechselte ich das Thema. »Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen.«
    Norberts Gesicht verdüsterte sich. »Hoffnungslos verheiratet.«
    »Mit wem?«
    »Mit einem biederen Rechtsanwalt. Als sie das letzte Mal hier war, hatte sie einen dicken Bauch. Die beiden haben sich ein Häuschen in Drensteinfurt gemietet, mit genügend Kinderzimmern für die Produktion der nächsten Jahre.«
    »Das soll unsere Anna sein?«, fragte ich zweifelnd.
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wovon sie redet: Nachbarschaftsfeste, Frauenkränzchen in der katholischen Gemeinde, Kindergartenplätze. Sie ist werdende Mutter und Hausfrau geworden, mit Haut und Haaren.«
    Wir tranken einen Schluck Cola und Wasser im Angedenken an die lebenslustige Kellnerin Anna, Versüßerin meiner vielen Saufabende im Alcatraz.
    Am späten Nachmittag fuhr ich zum Kriseninterventionszentrum an der Steinfurter Straße. Hier trafen sich jede Menge Selbsthilfegruppen, die alle, einem Hang zur Selbstironie gehorchend, auf ausgefallene Namen hörten. Zum Beispiel der Jucki-Treff für Neurodermitiker oder die Bläh-Boys, bei denen sich Männer mit Verdauungsproblemen versammelten.
    Ich ging nicht zum Jucki-Treff, obwohl ich Neurodermitiker bin, sondern zu den Schluckspechten, die alternativ angehauchte Variante der Anonymen Alkoholiker. Unser geklautes Motto: »Lieber ein stadtbekannter Trinker als ein anonymer Alkoholiker.«
    Das Kriseninterventionszentrum gehörte einer Wohlfahrtsorganisation, deren Büros den größten Teil der Fläche beanspruchten. Es befand sich in einem alten Bürgerhaus, das vollständig und ökologisch umgebaut worden war, einschließlich einer ein Meter dicken Grasnarbe auf dem Dach und Lichtschächten und -höfen, die überall das Sonnenlicht durchließen.
    Entsprechend aufgeheizt war die Luft in der Cafeteria im Erdgeschoss, wo sich die krisengeschüttelten und auf Intervention wartenden Menschen an Kaffee aus ökologischem Anbau und Vollwert-Spezereien laben konnten.
    Gisela und Walter, zwei von meinen Schluckspechten, standen an der Theke.
    »Wird wohl nicht voll werden heute«, meinte Walter. »Sind alle im Urlaub.«
    »Dann können wir ja in eine Kneipe gehen«, scherzte ich.
    Gisela stöhnte. »Erwähn das Wort nicht! Meine Gastritis.«
    »Ist es wieder schlimmer geworden?« Walter

Weitere Kostenlose Bücher