Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
vielleicht in Versuchung gekommen. Aber der sitzt ja auch schon auf einer Wolke.«
Sie beugte sich vor und tätschelte meine Hand. Ironisch. So, als wäre ich ein dummer alter geiler Geldsack und sie ein abgezocktes, hinterhältiges Mädchen.
»Ich muss jetzt meinen Text für morgen lernen. Wir sehen uns, Hercule!«
Ich hielt ihre Hand fest. »Man sagt mir mehr eine Ähnlichkeit mit Joachim Król nach.«
»So? Spielt der nicht meistens Schwule?«
Dann befreite sie ihre Hand aus der meinen und schwebte drei Zentimeter über dem Teppich davon.
Ich war beeindruckt.
Ich war immer noch beeindruckt, als sich Gabi neben mich setzte.
»Das verdammte Biest.«
»Wer?«
»Muschi. Sie verdreht allen Männern die Köpfe. Ich möchte mal wissen, wie sie das macht. Ich meine, sie ist hübsch, aber nicht hübscher als hundert andere, die an jeder Ecke stehen. Wie schafft sie es, dass alle Schwanzträger Pfötchen geben und mit dem Hinterteil wackeln?«
»Sie ist dreist. Das lieben wir Männer.«
»Ach ja? Wo wir gerade davon sprechen: Was ist eigentlich heute Nacht passiert?«
Ich erzählte es ihr.
Später am Abend lag ich im Bett und sah fern. Ein neuer deutscher Film, in dem die Männer Kinder kriegten und die Frauen das Geld verdienten. Nach einer Weile verstand ich, warum der deutsche Spielfilm in einer Krise war. Ich schaltete den Fernseher aus und schnappte mir den amerikanischen Krimi, der auf meinem Nachttisch lag. Da gab es wenigstens noch echte Männer.
Mitten in der Lektüre einer spannenden Verfolgungsjagd ging das Licht aus. Auch in einem Luxushotel soll gelegentlich eine Birne durchbrennen. Ich tappte durch das dunkle Zimmer und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Kein Elektron rührte sich. Ich ging zum Fenster und schaute hinaus. Auch die Außenbeleuchtung hatte ihren Geist aufgegeben. Das war schon etwas merkwürdiger.
Im hoteleigenen weißen Bademantel lief ich auf den Flur. Einige Filmleute hatten ihre Zimmer verlassen und rotteten sich in schemenhaft erkennbaren Gruppen zusammen. Dieter, dessen Zimmer neben meinem lag, war ganz aufgeregt: »Ich geh zu Katinka. Vielleicht ist sie in Gefahr. Kommst du mit?«
Warum nicht?, dachte ich. Immerhin war ich der Sicherheitsexperte und für die Rettung von Filmdiven zuständig.
Eine Etage tiefer brüllte Poppelhove: »Gibt es keine verfluchten Kerzen in dem Laden hier?«
Das erinnerte mich an meine Verantwortung für das Große und Ganze. »Gehen Sie bitte alle nach unten!«, kommandierte ich mit lauter Stimme. »Alle versammeln sich im Hotelfoyer! Bleiben Sie dicht zusammen! Klopfen Sie an alle Türen und sagen Sie es weiter!«
»Glauben Sie, dass etwas passiert ist?«, fragte eine ängstliche Stimme neben mir, ich meinte, die Maskenbildnerin zu erkennen.
»Nein. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.«
Dieter zog an meinem Arm, gemeinsam trotteten wir durch das dunkle Gallitzin. Er hätte den Weg vermutlich auch im Traum gefunden, denn plötzlich sagte er: »Das ist ihre Tür.«
»Klopf an!«, befahl ich ihm.
»Willst du nicht ...?«
Zwei Schuljungs vor dem Mädchenschlafsaal der Jugendherberge hätten sich nicht tapsiger anstellen können.
»Mach schon!«
Dieter klopfte. »Katinka! Sind Sie da drin?«
Eine verschlafene Stimme antwortete: »Wer ist da?«
»Dieter Pierchowiak. Geht es Ihnen gut?«
»Warum soll es mir nicht gut gehen?«, grollte die Diva leidlich wach.
Jetzt ergriff ich das Wort: »Kommen Sie bitte heraus! Zu Ihrer eigenen Sicherheit.«
»Was ist los?«
Wir erklärten es ihr abwechselnd.
Ein paar Minuten später saß oder stand beim Schein einiger Kerzen eine Menschenmenge im Hotelfoyer.
»Wer ist auf die beknackte Idee gekommen, hier eine Betriebsversammlung abzuhalten?«, maulte Poppelhove.
»Ich«, meldete ich mich. »Ich möchte nicht, dass noch ein Unfall geschieht.«
»Wollen Sie damit andeuten ...«
»Ich will gar nichts andeuten.«
Der Nachtportier entschuldigte sich in einer Endlosschleife für die Unannehmlichkeiten. »Ein Brand im Hauptsicherungskasten. So etwas ist mir, seitdem ich hier arbeite, noch nie untergekommen. Die Techniker sind schon unterwegs. Entschuldigen Sie vielmals ...«
»Und jetzt«, unterbrach ich ihn, »machen wir ein kleines Spiel: Einer nach dem anderen ruft den Namen von jemandem, den er nicht sieht. Ist der- oder diejenige anwesend, gibt er, sie Laut. Und los geht’s!«
Eine Reihe von Namen schwirrte durch die Luft, bis klar war, dass zwei fehlten: Rommersberger und Wildkat.
»Rufen Sie
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