Wilsberg 12 - Wilsberg und die Schloss-Vandalen
gebaute Bundesstraße, die mich um Borken herumführte, und hinter Bocholt tauchten die Hinweisschilder nach Disselburg auf. Das Schloss lag ein paar Kilometer außerhalb der Stadt. Schon von Weitem sah ich die graugrünen Turmspitzen in der Sonne glänzen. Ich stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und schlenderte über einen Kiesweg zur Behausung von Graf Joseph zu Schwelm-Legden.
Disselburg war ein Wasserschloss, ein doppelter Ring von Wassergräben umgab die rotbraunen Schlossmauern. Große, weiß gerahmte Fenster lockerten die Fassaden auf und mit bunten Blumen bewachsene Inseln, auf denen ich Statuen und Putten entdeckte, erstreckten sich zwischen den Kanälen. Das Ganze war umgeben von einer weitläufigen Parklandschaft, in der uralte Bäume ihre mächtigen Kronen erhoben.
Über eine holländisch anmutende Zugbrücke erreichte ich die erste bebaute Insel, die durch einen schmalen Wasserlauf vom eigentlichen Schloss getrennt war. Die drei Flügel des zwei Stockwerke hohen Gebäudes entsprachen dem Baustil des Schlosses, fielen allerdings etwas niedriger und schlichter aus. Was früher vermutlich die Kammern der vielköpfigen Dienerschaft beherbergt hatte, gab sich jetzt als Schlosshotel Disselburg zu erkennen.
Eine kleine, mit Steinlöwen verzierte Brücke führte mich zum barocken Schlossportal. Es wurde wahrscheinlich nur geöffnet, wenn Königin Beatrix mal vorbeischaute, gewöhnliche Sterbliche mussten die links davon gelegene, aus dem mittleren zwanzigsten Jahrhundert stammende Weißlacktür benutzen. Über und neben der Tür hingen Schilder mit der Aufschrift Museum und einer Preisliste, Graf Joseph hatte also nichts gegen zahlende Besucher.
Dem Mann an der Kasse erklärte ich, dass ich nicht zahlen wolle, weil mich der Graf erwartete. Es folgte ein kurzes Telefongespräch, in dem der Graf oder der Hofmarschall seine Einwilligung gab, dann bekam ich einen Grundriss des Schlosses durch den Kassenschlitz geschoben, und ein Kugelschreiber markierte die Stelle, an der ich um Einlass begehren sollte.
Die gräfliche Familie bewohnte den gesamten Nordflügel des Schlosses. Nachdem ich den gepflasterten Innenhof und eine antike Hofküche durchquert hatte, musste ich mich von einer Videokamera begutachten lassen, bevor sich eine Stahltür summend öffnete und ich in einem nüchternen weißen Flur stand.
Auch wenn ich mir bis dahin noch keine Gedanken über das Arbeitszimmer eines Grafen gemacht hatte, so erwartete ich doch ein nach Geschichte riechendes Ensemble aus dunkler Eiche und roten Plüschsesseln. Und war dementsprechend überrascht, als ich in ein helles, mit modernen Designermöbeln ausgestattetes Büro gelangte. Nicht einmal PC und Drucker fehlten auf der Arbeitsplatte, hinter der sich ein etwa fünfzigjähriger Mann aus einem grauen Ledersessel erhob.
»Schön, dass Sie gekommen sind, Herr Wilsberg«, sagte Graf Joseph zu Schwelm-Legden. Er trug eine beige Kordhose und ein Tweedsakko im Schottenstil. Landadel eben.
Ich stellte die Reisetasche ab. »Ihr Angebot klang verlockend, Herr ...«
»Graf oder Schwelm-Legden, wie Sie wollen.« Seine Stimme war dünn und hoch.
Inzwischen stand er vor mir und schüttelte meine Hand. Mit seinen grauen Schläfen, der Nickelbrille und den wulstigen Lippen hätte er in einem deutschen Fernsehfilm die Rolle eines kauzigen, aber nicht unsympathischen Staatsanwalts besetzen können.
»Ich sehe, Sie haben Ihr Gepäck gleich mitgebracht. Sehr gut. Das Hotel auf der Vorburg wird Ihnen gefallen. Es hat vier Sterne und die Restaurantküche ist auch sehr ordentlich.«
»Vielleicht sollten wir vorher ein paar Dinge klären«, schlug ich vor.
»Ach ja, natürlich.« Er lachte kurz und glockenhell wie ein Wiener Sängerknabe. »Sie wissen ja gar nicht, worum es geht. In unserer kleinen Welt verliert man leicht die Maßstäbe. Hier in der Gegend zerreißen sich die Leute das Maul darüber, aber im fernen Münster ...«
Ich wartete auf eine Erklärung, die vorläufig ausblieb.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Schloss. Dabei erzähle ich Ihnen alles.«
Ohne meine Antwort abzuwarten, eilte er voraus. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Beim Reden unterstrich er seine Worte mit schwungvollen Armbewegungen. »Das Schloss ist seit einigen Jahrhunderten im Besitz unserer Familie, genauer gesagt, seit dem Dreißigjährigen Krieg. Eigentlich stammen die Grafen zu Schwelm aus dem Süddeutschen, der größte Teil meiner Verwandtschaft lebt noch dort.
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