Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
dass mir Nora alles Wichtige erzählen würde? Andererseits erstaunte mich die Art, wie sie das Gespräch geführt hatte, schon sehr. Da war eine Seite von ihr zum Vorschein gekommen, die ich noch nicht kannte.
»Alle Achtung«, sagte ich, als wir in der gleißenden Sonne vor dem Bürogebäude standen, »das war eine starke Nummer, die Sie da abgezogen haben.«
Nora lächelte stolz. »Denken Sie, ich könnte in Ihrem Detektivbüro anfangen?«
»Ich würde Ihnen sofort die Partnerschaft anbieten.«
Sie lachte. »Seien Sie vorsichtig! Vielleicht komme ich darauf zurück.«
Wir machten uns auf den Rückweg zum Landhaus Resch.
»Woher haben Sie die Vollmacht Ihres Vaters?«, fragte ich.
»Gefälscht, ebenso wie die Prokura.«
»Das nenne ich gründliche Vorbereitung«, sagte ich anerkennend. »Wie sind Sie darauf gekommen, dass Ihr Vater die Stiftung eingerichtet hat?«
»Reine Vermutung. Von den sieben Millionen Franken hat er knapp eine Million als Provision kassiert. Deshalb habe ich angenommen, dass er dafür mehr tun musste, als die Gelder von einem Konto aufs nächste zu leiten.« Ihre Augen blitzten. »Zugegeben, das war der schwächste Punkt meiner Überlegungen. Darum habe ich ihn direkt am Anfang gebracht. Wäre meine Idee falsch gewesen, hätten wir ziemlich alt ausgesehen.«
»Schön, dass Sie mir vorher nichts gesagt haben«, bemerkte ich ironisch. »Sonst hätte ich bestimmt nicht so gut mitspielen können.«
»Hey, seien Sie bloß nicht beleidigt!« Sie wedelte mit den Kopien, die sie aus ihrer Tasche genommen hatte. »Sind Sie nicht neugierig? Wollen Sie nicht wissen, wer mehr als vier Millionen Franken von der Stiftung Grünland bekommen hat?«
»Und wer ist der Glückliche?«
»Eine Firma in Münster. Sie heißt NE Industrial Consulting. «
Ich musste nicht lange nachdenken. »Das ist die Firma, die Gottfried Guber Anfang der Neunzigerjahre gegründet hat. NE steht für Near East oder Naher Osten.«
Nora lächelte triumphierend. »Dann steht also fest, dass die Stiftung dazu dient, Guber und seine Partei zu unterstützen. Bleibt die Frage, woher das Geld stammt. Ich schlage vor, dass wir meinen Vater zur Rede stellen.«
»Ja«, sagte ich zögernd, »das sollten wir tun. Aber vorher möchte ich noch mit einer anderen Person reden.«
»Und mit wem?«
»Mit Ihrem Onkel, Manfred Schwarzenbacher. Können Sie herausfinden, wo er sich heute aufhält?«
XIV
Manfred Schwarzenbacher war nervös. Er tupfte sich den Schweiß von der Stirn und schaute sich unentwegt um, als sei es ihm peinlich, mit mir zusammen in dem kleinen Park gesehen zu werden. Der Park lag zwischen der Aare und dem bombastischen, einem römischen Tempel nachempfundenen Berner Bundeshaus, in dem Schwarzenbacher seiner Pflicht als Abgeordneter nachging.
Es war für Nora keine leichte Aufgabe gewesen, ihren Onkel zu dem Gespräch mit mir zu überreden. Sie hatte gesagt, dass es um Lena ginge und dass im Zusammenhang mit den Ermittlungen in Münster einige Fragen aufgetaucht seien, bei denen er in seiner Funktion als Nationalrat hilfreich sein könne. Schwarzenbacher hatte Genaueres wissen wollen, aber Nora hatte sich damit herausgeredet, dass sie nicht über alle Details informiert und ich sowieso der kompetentere Ansprechpartner sei. Murrend hatte er eingewilligt, mir eine halbe Stunde seiner kostbaren Zeit zu opfern.
Schwarzenbacher schaute zum Bundeshaus. »Ich dachte, Nora sei auch hier.«
»Sie musste dringend nach Zürich zurück.«
In Wahrheit wollte ich allein mit ihm reden. Nora wartete am Kindlifresserbrunnen auf dem Kornplatz, der sich nur wenige hundert Meter entfernt befand.
»Ich verstehe nicht, was Sie und Nora von mir erwarten.« Der Nationalrat rückte seine dunkle Hornbrille zurecht. »Soweit ich weiß, wird Lena keines Verbrechens beschuldigt. Sie hat doch nichts zu befürchten, oder?«
»Eigentlich geht es nicht um das, was in Münster passiert ist«, sagte ich.
»Sondern?« Er griff wieder in die Hosentasche und holte sein Stofftaschentuch hervor.
»Sondern um das, was Sie mit Lena gemacht haben, vor mehr als zehn Jahren in jenem Sommer im Tessin, nachdem die Mutter von Nora und Lena gestorben war.«
Der Arm mit dem Taschentuch erstarrte. Schwarzenbachers Gesicht wurde erst weiß, dann rot, dann wieder weiß. »Das ... Das ist unerhört. Eine Frechheit ist das. Das muss ich mir nicht gefallen lassen, oder?«
Er machte ein paar stampfende Schritte in Richtung Bundeshaus.
Ich schaute ihm
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