Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
Kühle kam von innen, eine Konzentration und Anspannung, die darauf schließen ließ, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war.
»Ich habe Ärger mit meinem Vater«, antwortete sie auf meine Frage. »Er meint, ich mische mich zu sehr in seine Angelegenheiten ein.«
»Haben Sie ihn nach der Stiftung Grünland gefragt?«
»Nein. Das hätte keinen Sinn, er würde nur einen Wutanfall bekommen. Es geht mehr um Sie. Er nimmt mir übel, dass ich Sie gebeten habe, nach Lena zu suchen.«
»Macht er sich denn keine Sorgen um Lena?«
»Doch. Er besucht sie jeden Tag und kümmert sich rührend um sie. Aber er ist davon überzeugt, dass Sie ihr die Entführung nur eingeredet haben. Er denkt, dass Lena durch Ihre Ermittlungen in psychische Verwirrung gestürzt wurde.«
»Das ist völliger Blödsinn«, sagte ich wütend.
»Das sehe ich auch so. Ich weiß nicht, ob er den Kopf in den Sand steckt oder bewusst versucht, von Tatsachen abzulenken, die für ihn unangenehm werden könnten.«
»Sie denken an seine Verbindung zu Guber?«
»Ja. Dass ich Guber in unserem Haus gesehen habe, ist nicht zu leugnen. Und jetzt taucht auf einmal die Stiftung Grünland auf.«
»Ob Guber von der Stiftung profitiert, wissen wir nicht«, bremste ich ihren Elan.
»Warum sollte Guber denn sonst so scharf auf die Diskette sein?«, konterte Nora.
Unterdessen hatten wir uns auf den Weg in die Innenstadt gemacht. Dazu mussten wir nur um zwei Ecken biegen und an einigen Glas- und Marmorpalästen vorbeigehen, in denen Banken und Treuhandunternehmen residierten. Der eigentliche Luxus, den sich die Liechtensteiner leisteten, waren jedoch die modernen Skulpturen, die in Abständen von zehn Metern den Bürgersteig säumten.
»Und wie geht es Lena?«, fragte ich.
»Schon viel besser. Die Klinik, die mein Vater ausgesucht hat, ist wirklich sehr gut, klein, geschmackvoll eingerichtet und mit hervorragendem medizinischem Personal ausgestattet.«
»Wovon Kassenpatienten nur träumen können.«
Sie lächelte. »Geld spielt bei uns keine Rolle, wie Sie wissen. Die Klinik liegt direkt am Zürichsee, von ihrem Zimmer aus hat Lena einen herrlichen Ausblick auf das Wasser. Und was das Wichtigste ist: Sie malt wieder. Dadurch ist sie etwas ruhiger geworden. Ich hoffe, dass sie bald den Einstieg in ein normales Leben findet.«
»Das wünsche ich ihr auch«, sagte ich. »Allerdings ist dafür wahrscheinlich mehr nötig als ein schönes Ambiente.«
»Sie müsste sich öffnen«, stimmte Nora zu. »Ich habe mit ihrer Therapeutin geredet, eine sehr angenehme Frau. Sie sagt, Lena macht erste Fortschritte.«
»Haben Sie der Therapeutin von Ihrer Vermutung erzählt, was in jenem Sommer im Tessin passiert sein könnte?«
Sie nickte.
»Gibt es den Onkel eigentlich noch – wie hieß er noch gleich?«
»Manfred. Manfred Schwarzenbacher. Es gibt ihn noch und er ist präsenter denn je.«
»Wieso?«
»Er sitzt für die Liberalen im Nationalrat in Bern. Und er steht auf der Liste derjenigen, die als zukünftige Bundesräte gehandelt werden. So heißen bei uns die Minister.«
Wir erreichten die überschaubare Vaduzer Fußgängerzone. Die Sitzbänke, die man hier aufgestellt hatte, waren nicht nur edel gestaltet, sondern auch so makellos und sauber wie wohl keine anderen Sitzbänke irgendwo auf der Welt. Außerdem gab es drei Restaurants mit Außenterrassen und als sündige Speerspitze des Vaduzer Nachtlebens ein Lokal namens Crash Bar.
Wir entschieden uns für das Restaurant Engel und setzten uns unter die Markise.
Während des Essens wollte Nora die ausführliche Fassung meiner Erlebnisse seit ihrer Abreise aus Münster hören. Also berichtete ich von Tobias Olpitz und Kathrin Meyer, von dem Buchmanuskript der tödlich verunglückten Journalistin, das mir in die Hände gefallen war, und schließlich von meiner Begegnung mit Gottfried Guber.
Nora spießte ihr letztes Stück Lammrücken auf. »Wie hat Guber auf Sie gewirkt?«
»Wenn man zwei Schläger im Nacken hat, die auf sein Kommando hören, ist man nicht ganz objektiv.«
»Denken Sie, er handelt aus Überzeugung? Oder zieht er nur eine Show ab?«
»Schwer zu beurteilen«, nahm ich eine Bedenkzeit. »Es ist vermutlich eine Mischung aus beidem. Natürlich genießt er die Präsenz in den Medien, die ihm seine verbalen Ausfälle verschaffen. Doch ohne einen Funken Überzeugung würde er nicht so glaubwürdig wirken. Rhetorisch ist er den dumpfen Rechten, die es in ganz Europa gibt und die mit Schaum vor dem
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