Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
gegangen, aber sie weiß so gut wie nichts, nur daß Campbell schon weg war, wie sie heute früh um acht gekommen ist, um Ordnung zu machen. Und Mr. Ferguson, der nebenan wohnt, war schon mit dem ersten Zug nach Glasgow gefahren.»
«Ferguson?» fragte Wimsey. «Ich glaube, den kenne ich. Hat er nicht irgendwo Wandgemälde für ein Rathaus gemacht?»
«Ja, ja, und ein sehrrr guter Maler ist er. Sie haben ihn sicher schon in seinem kleinen Austin rumflitzen sehen. Hat sein Atelier gleich neben Campbell, jeden Sommer.»
«Ist er verheiratet?»
«Ja, aber seine Frau ist gerade zu Besuch bei Freunden in Edinburgh. Ich glaube, die beiden verstehen sich nicht besonders.»
«Wer – Ferguson und Campbell?»
«Nein – Mr. und Mrs. Ferguson. Aber das andere stimmt auch. Er und Campbell haben sich mal schrrrecklich in den Haaren gelegen, weil Campbell Fergusons Gartenmauer mit dem Wagen umgefahren hat.»
Ich frage mich langsam, ob’s im ganzen Landkreis noch einen einzigen Menschen gibt, mit dem er keinen Krach hatte, dachte Wimsey und ergänzte seine Liste:
6. John Ferguson, ca. 36 Jahre, ca. 1,78 groß, Strohwitwer. Landschaften und Figuren. Streit wegen Mauer.
«Übrigens», fragte er weiter, «ist Jock Graham irgendwo in der Gegend?»
«Jock – nee, der ist weg. Letzte Nacht ist er überhaupt nicht nach Hause gekommen. Hat gesagt, er will zum Angeln rauf nach Loch Trool.»
«Oho!» rief Wimsey. «Zum Loch Trool ist er? Wie ist er da denn hingekommen?»
«Keine Ahnung. Der Verwalter wird ihn eingeladen haben. Vielleicht ist er über Nacht in Newton Stewart geblieben und morgens mit dem Verwalter hingefahren. Vielleicht hat er aber auch die ganze Nacht dort geangelt.»
«So, so, hat er das?» meinte Wimsey. Das gab dem Fall ja wieder einen völlig neuen Aspekt. Ein gesunder und kräftiger Mann konnte die Leiche zum Minnoch gefahren haben und dann zu Fuß nach Newton Stewart zurückgekehrt sein, um seine Verabredung einzuhalten, falls der Zeitpunkt dafür nicht zu früh lag. Aber das ging natürlich nur bei einer Angelpartie bei Tag, und Jock Graham arbeitete gern bei Nacht.
«Kommt er heute abend wieder, Joe?»
«Da hab ich nun gar keine Ahnung», sagte der Wirt und machte Wimseys Hoffnungen so mit einem Schlag zunichte. «Die bleiben vielleicht auch zwei Nächte oben, wenn die Fische gut beißen.»
«Hm», machte Wimsey. «Wie schön für die beiden. Na ja, aber ich muß jetzt weiter.»
Er bezahlte, und der Wirt begleitete ihn nach unten.
«Wie geht’s Andy?» fragte er beiläufig.
«Ach, ganz gut», antwortete der Wirt. «Nur heute ist er fuchsteufelswild. Hat ihm doch irgend so ein Kerl sein Fahrrad geklaut. Und zu allem Unglück hatte er eben erst neue Reifen auf beide Räder montiert.»
Wimsey, den Daumen schon am Anlasser, hielt wie elektrisiert inne.
«Wie denn das?»
«Selber schuld. Immer läßt er es einfach herumstehen. Wahrscheinlich hat so ein Tippelbruder oder Teppichhändler es mitgehen lassen. In Gatehouse würde so was keiner machen.»
«Wann hat er es denn vermißt?»
«Heute früh, als er zur Schule wollte. Ein Glück, daß es nicht das Motorrad war, das er immer von mir gekauft haben will.»
«Ich wette, das hat sich nur jemand ausgeliehen», sagte Wimsey.
«Wird wohl so sein. Vielleicht taucht es wieder auf. Also dann, einen schönen Tag noch, Mylord.»
Wimsey fuhr nicht über die Brücke, sondern die Straße hinauf zum Bahnhof. Er passierte die Abzweigung nach links, die an der Alten Kirche von Anwoth vorbei zur Straße nach Creetown führt, und folgte dem Lauf des Fleet bis zu einem schmalen Weg, der nach rechts abbog. Der Weg endete vor zwei kleinen, einzeln nebeneinanderstehenden Sommerhäusern, die auf einen tiefen kleinen Tümpel blickten – den berühmten Tümpel des Anstoßes, in den Jock Graham den verblichenen Campbell getaucht haben sollte.
Normalerweise hätte Wimsey erwartet, beide Haustüren vertrauensselig unverschlossen vorzufinden, aber heute war das untere Cottage, in dem Campbell wohnte, zugeschlossen, wahrscheinlich von der Polizei. Wimsey sah nacheinander durch alle Fenster des Erdgeschosses. Alles wirkte friedlich und ordentlich, wie die Zugehfrau es morgens zurückgelassen hatte. Vorn befand sich ein Wohnzimmer im Junggesellenstil, hinten eine Küche – das Übliche, mit einem Schlafzimmer darüber. An die Küche war ein Atelier mit Glasdach angebaut worden. Rechts der Schuppen, in dem Morris gestanden hatte, war leer, und zwei frische
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