Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
Die Fahrkarten sind nachgeprüft worden, und die in Pinwherry gelöste Karte dritter Klasse ist ordnungsgemäß in Stranraer abgegeben worden. Leider war der Beamte, der die Karte abgenommen hat, kein guter Beobachter und kann uns nicht sagen, wie der Mann aussah, der sie ihm gegeben hat.»
«Nun, Sie haben ja in dieser Richtung ganz gute Arbeit geleistet, vor allem wenn man die Kürze der Zeit berücksichtigt», sagte Wimsey. «Und wie es aussieht, könnte da wirklich etwas zu holen sein. Übrigens, hat der Stationsvorsteher von Pinwherry erwähnt, ob der Mann ein Fahrrad bei sich hatte?»
«Nein, ein Fahrrad hatte er nicht. Ich hab gefragt, wie er denn am Bahnhof angekommen ist, aber keiner hat ihn kommen sehen. Anscheinend ist er nur einfach so in den Bahnhof spaziert.»
«Klar, wenn er das Schiff nach Irland nehmen wollte, hat er zuerst mal das Fahrrad loswerden müssen. Er hatte ja Zeit genug, es in den Bergen zu verstecken. Schön – das sieht also recht erfreulich aus. Aber allzusehr dürfen wir uns darin nicht verbeißen. Was ist mit den Zügen in die andere Richtung – nach Glasgow?»
Dalziel blätterte ein paar Seiten um, leckte den dicken Bleistift an und stellte einen zweiten Fahrplan auf.
Stranraer ab 11.35 12.30 (ab Hafen Stranraer) 16.05
Castle Kennedy 11.42 …… 16.12
Dunragit 11.52 12.42 16.20
New Luce 12.07 …… 16.33
Glenwhilly 12.19 …… 16.45
Barrhill 12.35 …… 17.00
Pinwherry 12.43 …… 17.08
Pinmore 12.56 …… 17.18
Girvan an 13.06 13.37 17.28
ab 13.11 13.42 15.36
«Auch da gibt’s Möglichkeiten», sagte Wimsey. «Wie wär’s mit dem um 12 Uhr 35? Den hätte er leicht erreichen und bis Glasgow damit fahren können, und von dort aus kann er überallhin.»
«Richtig. Das hab ich mir auch schon gesagt. Ich hab also den Stationsvorsteher von Barrhill angerufen, aber es sind nur vier Leute in den Zug gestiegen, und die kannte er alle persönlich.»
«Aha!» sagte Wimsey. «Ich verstehe. Dann wäre das also erledigt.»
«Ja. Aber da ist noch was. Ich hab mich damit nicht zufriedengegeben, sondern auch noch bei anderen Bahnhöfen an der Strecke nachgefragt, und da bin ich auf einen Herrn mit Fahrrad gestoßen, der in Girvan den Zug um 13 Uhr 11 genommen hat.»
«Wirklich? Potztausend!» Wimsey holte seine Landkarte von diesem Gebiet und studierte sie aufmerksam.
«Es wäre zu machen, Dalziel, es wäre zu machen! Barrhill liegt 9 Meilen vom Tatort entfernt, und bis Girvan sind es noch einmal 12 Meilen – sagen wir insgesamt 21 Meilen. Wenn er um 11 Uhr 10 aufgebrochen ist, hatte er zwei Stunden Zeit, das heißt gut 10 Meilen pro Stunde – ein Leichtes für einen guten Radfahrer. War der Zug übrigens pünktlich?»
«Das war er. Doch, er könnte es geschafft haben.»
«Hat der Stationsvorsteher den Mann beschrieben?»
«Er sagt, der Schalterbeamte hat den Mann als einen normalen Dreißig- bis Vierzigjährigen beschrieben, mit grauem Anzug und karierter Mütze, die er tief in die Augen gezogen hatte. Glattrasiert, oder wenigstens fast, mittelgroß, und er trug eine große Brille mit getönten Gläsern.»
«Das ist verdächtig», fand Wimsey. «Meinen Sie, ob der Schalterbeamte ihn identifizieren kann?»
«Doch, das glaub ich schon. Er hat gesagt, der Mann spricht wie ein Engländer.»
«So, so?» Wimsey ließ im Geiste seine sechs Verdächtigen Revue spazieren. Waters war Londoner und sprach reinstes Internatsenglisch. Strachan war Schotte, sprach aber meist mit einem englischen Akzent, da er in Harrow und Cambridge erzogen worden war. Er war aber auffallend groß und konnte es daher kaum gewesen sein. Gowan sprach mit Wimsey Englisch, mit den Einheimischen breitestes Schottisch – andererseits wurde aber Gowans mächtiger Rauschebart, der nie ein Rasiermesser gesehen hatte, den Besuchern von Kirkcudbright als örtliche Sehenswürdigkeit gepriesen. Graham war vollkommen londonisiert und konnte mit seinem Englisch jederzeit in Oxford bestehen. Seine frappierend blauen Augen waren der einzig auffällige Zug an ihm – war das der Grund für die getönten Brillengläser? Farren – sein Schottisch war nicht zu verleugnen; kein Mensch würde ihn für einen Engländer halten. Im übrigen war seine ganze Erscheinung auffallend – die kantigen breiten Schultern, das füllige Blondhaar, die merkwürdig hellen Augen, der launische Schmollmund und das kräftige Kinn. Auch Ferguson war Schotte dem Akzent, aber nicht der Ausdrucksweise nach, und äußerlich hätte er
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