Wimsey 07 - Fünf falsche Fährten
vielleicht jemand, der sie schützen und nach Hause begleiten könne, plötzlich aber kam ihr ohne bestimmten Grund der Gedanke, daß dies der böse Mann sei, der zurückkam, um sie zu töten. Sie bekam schreckliche Angst und rannte los, so schnell sie konnte. Dann hörte sie einen Motor anspringen und versteckte sich im Gebüsch, weil sie glaubte, der böse Mann verfolge sie mit dem Auto. Es kam jedoch nichts, und nach einer Weile wagte sie sich wieder hervor und eilte nach Hause. Gerade als sie durchs Gartentor war, kam ein Auto mit rasender Geschwindigkeit in Richtung Kirkcudbright vorbeigefahren. Sie erreichte das Haus, gerade als die Küchenuhr zehn schlug. Sie rannte ins Schlafzimmer, warf sich so, wie sie war, ins Bett und zog die Decke über den Kopf.
Von hier an setzte Mrs. McGregor die Erzählung fort. Sie und ihr Mann seien um halb elf nach Hause gekommen und hätten das Kind zitternd und weinend in voller Kleidung im Bett vorgefunden. Sie sei so verschreckt gewesen, daß sie überhaupt nichts aus ihr herausbekommen hätten. Sie hätten sie lediglich ausschimpfen, ausziehen und anständig ins Bett legen können, ihr etwas Heißes zu trinken gegeben und gewartet, bis sie vor Erschöpfung eingeschlafen sei. Den ganzen nächsten Tag habe sie sich geweigert, ihnen etwas zu sagen, aber in der Nacht darauf seien sie dreimal von ihr geweckt worden, weil sie im Schlaf geschrien habe, der böse Mann komme und wolle sie töten. Am Mittwochabend habe der Vater, der das Kind viel zu sehr verwöhne, endlich die Geschichte aus ihr herausbekommen, und als der Name Campbell gefallen sei, hätten sie beschlossen, die Polizei zu verständigen. Auf eine Frage des Inspektors antwortete Mrs. McGregor, daß ihre Küchenuhr fünf bis sechs Minuten nachgehe.
Der Inspektor dankte beiden sehr herzlich – mit dem Gefühl, wirklich allen Grund zur Dankbarkeit zu haben. Er sagte zu Helen, daß sie ein tapferes Mädchen sei, bat die Mutter, sie angesichts der großen Wichtigkeit ihres Berichts nicht zu bestrafen und beendete das Gespräch mit der eindringlichen Ermahnung, die Geschichte nur ja nicht weiterzuerzählen.
Nachdem sie gegangen waren, machte er sich’s bequem, um nachzudenken. Die Zeiten paßten gut zum Befund des Arztes, nur daß er jetzt den tatsächlichen Zeitpunkt des Mordes noch früher annehmen mußte, als er erwartet hatte. Nach seiner Interpretation des Gehörten hatten also Campbell und der andere sich getroffen, hatten Streit bekommen und bei der Prügelei war Campbell getötet worden. Der Mörder mußte dann Campbells Leiche im Zweisitzer verstaut und diesen irgendwo neben der Straße versteckt haben. Dann war er zurückgekommen, um Campbells Wagen zu holen und nach Gatehouse zu bringen, wo er ihn natürlich brauchte, um den Unfall vorzutäuschen. Irgendwann später mußte er dann zurückgekommen sein und seinen eigenen Wagen mit der Leiche darin geholt haben und – ja, was nur? Ihn nach Gatehouse gefahren?
Der Inspektor knurrte. Hier gab es Schwierigkeiten. Warum in aller Welt hatte der Mörder Campbells Leiche nicht sofort in Campbells Morris geladen und war damit weggefahren? Warum hätte er mit dem Schicksal spielen sollen, indem er den Toten an der Straße zurückließ, wo ihn jeder finden konnte, während er mit dem Morris nach Gatehouse fuhr und mit dem Fahrrad zurückkam? Denn er mußte entweder mit einem Fahrrad oder zu Fuß zurückgekommen sein, wenn er seinen Wagen abholen wollte. Ein Fahrrad zu benutzen war das Nächstliegende, und er konnte es ohne weiteres auf dem Notsitz des Zweisitzers zurückgebracht haben. Blieb immer noch die Frage: Warum hatte er die Leiche zurückgelassen?
Möglich wär’s, dachte MacPherson – o ja, das war sogar mehr als möglich –, daß der Mörder den Plan für sein Alibi und den vorgetäuschten Unfall zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefaßt hatte. Vielleicht war das die Erklärung. Er hatte einfach wegfahren wollen, als ob nichts gewesen wäre, und erst hinterher, nachdem er seinen raffinierten Plan ausgetüftelt hatte, war er zurückgekommen, um die Leiche zu holen. Aber nein! Das ging auch nicht. Er war ja in Campbells Wagen weggefahren. Die einzige Erklärung dafür war, daß er sich den falschen Unfall im Geiste schon zurechtgelegt hatte. Aber das war doch einfach unglaublich. Nahm man den Bericht des Kindes als zuverlässig an, und das schien er ja zu sein, so war offensichtlich, daß Campbell und der andere Mann sich rein zufällig begegnet waren. Und
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