Wind der Gezeiten - Roman
einzelnen Schritte nötig waren, um aus einem grünen Riesenblatt wohlriechenden, aromatischen Tabak herzustellen, doch Felicity hörte nur mit halbem Ohr zu. Wie immer, wenn sie sich langweilte, dachte sie an Niklas. Sie hatte ihm seit ihrer Ankunft auf Basse-Terre vorsorglich gleich ein halbes Dutzend Briefe geschrieben und sie an die Kapitäne mehrerer Handelsschiffe verteilt, die alle in den Häfen verkehrten, in denen Niklas ebenfalls anlegte– darunter sogar zwei Holländer. Früher oder später würde er eine Botschaft von ihr erhalten und dann wissen, dass sie sich auf der Hauptinsel von Guadeloupe aufhielt. Eines Tages, so malte sie sich oft aus, würde er dann ganz plötzlich vor ihr stehen und sie in die Arme schließen. Ihr Herz klopfte schneller, wenn sie daran dachte.
» Das ist sehr interessant « , meinte sie geistesabwesend, als Henri ihr das Verfahren der Tabakherstellung erläuterte. Er sprach Französisch mit ihr, so wie Yvette auch. Felicity fühlte sich bei diesen Gesprächen manchmal in ihre frühe Jugend zurückversetzt. Das Französische hatte sie noch vor dem Englischen gelernt, denn ihre Amme, die aus dem Languedoc stammte, war bis zu ihrem zehnten Lebensjahr als Kinderfrau in der Familie geblieben. In den Gesprächen mit Yvette und Henri hatte Felicity anfangs noch nach einzelnen Wörtern suchen müssen, doch inzwischen ging ihr jeder Satz so leicht über die Lippen, als hätte sie zeitlebens nie eine andere Sprache gesprochen.
Henri zeigte ihr ein paar hässlich aussehende Haufen von Grünzeug– hier musste der Tabak vorwelken. Nach ein paar Tagen wurden die schlaffen Pflanzen in den Trockenschuppen an Schnüren aufgehängt und konnten da weiterwelken, bevor sie über schwelendem Feuer geräuchert wurden. Damit war auch geklärt, warum aus manchen Schuppen Rauchwolken drangen, was Felicitys Aufmerksamkeit immerhin kurzfristig wecken konnte. Flüchtig besah sie sich die überall herumwuselnden Sklaven. Sie sahen genauso aus wie die auf Barbados, meist junge Männer mit kurz geschorenem, wolligem Haar. Die etwas älteren unter ihnen waren Vorarbeiter oder spezialisierte Handwerker, wie Henri ihr gleich darauf erklärte. Nicht ohne Stolz verwies er darauf, wie gut er seine Schwarzen behandelte. Geschlagen wurden sie nur bei schlimmen Vergehen, etwa wenn sie Essen oder Rum stahlen oder sich prügelten.
Felicity zwirbelte ihren Sonnenschirm, sie wurde ungeduldig. Der Spaziergang war weniger ersprießlich als erhofft. Außerdem hatte sie mittlerweile alles gesehen. Henri machte indessen keine Anstalten, sie zum Haus zurückzuführen, sondern umfasste fürsorglich ihren Ellbogen und geleitete sie einen Pfad entlang, der mitten in eines der Felder hineinführte.
» Hier wird es ein wenig unwegsam « , meinte er.
Stirnrunzelnd sah sie sich um. » Wollt Ihr mir auch die Felder zeigen? Die kann man doch auch vom Rand aus sehr gut betrachten. «
Er bog eine Pflanze zur Seite, die in den Weg hineinhing.
» Ich möchte Euch zu einem hübschen Fleckchen Erde bringen, dem schönsten auf der ganzen Plantage. Man kann von dort oben aus alles wunderbar sehen. Eure Cousine geht oft dorthin. «
» Oh, wirklich? Dann will ich es mir gern anschauen. « Sie stieg mit Henri den Hügel hinauf. Es ging recht steil bergan, und Felicity geriet noch mehr ins Schwitzen. Sie hätte nicht so viel Tee trinken sollen. Sehnsüchtig dachte sie daran, wie wunderbar kühl es gerade jetzt in England sein musste. Schon die Sommer dort waren deutlich kälter als die Winter in der Karibik, es war sehr ungerecht verteilt. Aber dann fiel ihr auch wieder ein, wie unangenehm der nasskalte Nieselregen gewesen war. Und wie oft hatte sie im Winter nachts im Bett gefröstelt und trotz aller Decken und wärmenden Ziegelsteine kalte Füße gehabt! Allein die kurze Zeit, die sie unlängst in Essex verbracht hatte, war schrecklich ungemütlich gewesen. Kalte Zugluft im Haus, draußen nichts als wallender Nebel und an manchen Tagen kein einziges Fleckchen blauer Himmel– von Woche zu Woche war sie trübseliger geworden und hatte sich die karibische Wärme zurückgewünscht. Nicht von ungefähr hatte es sie freudig überrascht, dass Niklas plante, mit ihr auf den Antillen zu leben.
Während ihre Gedanken um ein Wiedersehen mit ihrem holländischen Kapitän kreisten, berichtete Henri, wie sich die Plantagenwirtschaft auf Guadeloupe entwickelt hatte.
Normannische Edelleute hatten mit über fünfhundert französischen Auswanderern
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