Wind der Gezeiten - Roman
bildete sich eine Gasse, durch die Duncan auf sie zukam. Er war tropfnass. Offenbar hatte er nicht die Geduld aufgebracht, sich von John ans Ufer rudern zu lassen. Elizabeth lachte unter Tränen und warf sich in seine Arme.
» Wo kommst du denn auf einmal her? « , stammelte sie, während Duncan sich, ebenso wie vorhin Deirdre, eilends davon überzeugte, dass ihr nichts geschehen war.
» Du wirst mich für verrückt halten, wenn ich es dir sage. John meint, ich wäre es sowieso schon längst. « Er zog sie fest in seine Arme und räusperte sich, bevor er leise fortfuhr: » Mir schien plötzlich, als habest du mich gerufen. Gott helfe mir, es war, als stündest du neben mir. In der Sonne war es heiß wie in einem Ofen, aber in meinem Nacken war es kalt wie Eis, kälter als unter dem Tyburn-Baum. Da gab ich Befehl zum Wenden. « Er atmete tief ein, dann lachte er leise. » Ich schätze, ich muss nicht nur eine Werft und ein Haus bauen, sondern auch eine Kirche. «
» Du kannst alles bauen « , gab sie zurück, » solange du es mit mir zusammen tust. «
Barbados, ein Jahr später
A nne legte mit einem glücklichen Seufzen den Brief von George Ayscue zur Seite. Sie hatte ihn dreimal gelesen und auch beim dritten Mal noch Herzklopfen davon bekommen. Seine Zeilen ließen auf ein baldiges Wiedersehen hoffen. Er hatte von den Schweden das ersehnte Flottenkommando erhalten und plante eine Reise in die Neue Welt, vielleicht sogar schon im kommenden Jahr. Anne betrachtete stillvergnügt die Stelle, an der er ihr seine unverbrüchliche Zuneigung beteuerte.
Dein auf ewig, hatte er geschrieben. Ewig war ein großes Wort, vor allem im Zusammenhang mit Gefühlen, die doch wie kaum etwas anderes einem raschen und oft unberechenbaren Wandel unterworfen waren. Eher passte es zu Begriffen wie Ausharren oder Dauern. Hier kam es Anne manchmal tatsächlich so vor, als sei sie zu endlosem Warten verdammt. Die sprichwörtliche ewige Jungfer. Immerhin erhielt sie gelegentlich Briefe von ihrem englischen Admiral, der jetzt den Schweden diente. Seine Post erreichte Summer Hill auf verschlungenen Wegen. Kreuz und quer über die Meere legten diese Botschaften abenteuerliche Reisen zurück, die sie an die Zeit ihrer eigenen großen Fahrten im vergangenen Jahr erinnerten. Seither hatte sie gelernt, sich in Geduld zu üben und es auszuhalten, dass die Dinge ihre Zeit brauchten. Sie war daran gewachsen, den Ereignissen ihren Lauf zu lassen und sich mit dem zu begnügen, was der Himmel an Schönem für sie vorgesehen hatte. Und das war so viel!
Das schwarze Hausmädchen schenkte ihr frisch aufgebrühten Tee ein, den sie mit einem Löffel Zucker süßte, bevor sie den zweiten Brief zur Hand nahm, der ebenfalls heute angekommen war. Er stammte aus Elizabeths Feder und war erst zwei Wochen alt, was bei diesen Entfernungen ein seltener Glücksfall war. Anne hatte ihn schon überflogen, doch wie der von George war er es wert, mehrmals gelesen zu werden.
Antigua, Februar 1654
Liebste Anne, liebster William!
Heute habe ich lauter gute Neuigkeiten für Euch. Vorgestern hat unser Sohn William Duncan Haynes das Licht der Welt erblickt! Mutter und Kind sind wohlauf, wenngleich der Vater noch mit den Nachwirkungen des Rums zu kämpfen hat, den er anlässlich des freudigen Ereignisses im Übermaß genossen hat.
Der Kleine sieht genauso aus wie sein großer Bruder. Johnny möchte ihm am liebsten sofort das Tauchen beibringen. Faith nennt ihn beharrlich Willy – Duncan und ich fangen auch schon damit an – und möchte unbedingt bei ihm in der Wiege schlafen, es ist einfach nur entzückend.
Es gibt weitere frohe Kunde – Felicitys Kapitän ist da! Wider alle Erwartungen lief am gestrigen Abend plötzlich die Eindhoven ein, und Niklas Vandemeer kam an Land und konnte Felicity endlich in die Arme schließen! Die Ärmste hatte so lange gehofft und gebangt, doch von uns anderen hat kaum noch jemand daran geglaubt, ihn wiederzusehen, denn sie hatte seit Monaten keine Nachricht von ihm erhalten. Ihr könnt Euch unser aller Freude sicher vorstellen! Felicity hat stundenlang vor Glück geweint und fängt bereits an zu packen, denn Niklas will sie nach St. Eustatius mitnehmen. Das ist eine holländische Antilleninsel, die nicht sehr weit von Antigua entfernt ist. Wir werden einander besuchen können.
Auch Euch hoffe ich in naher Zukunft wiederzusehen, denn Willy soll doch seinen Patenonkel bald kennenlernen. Und Ihr fehlt mir beide so! Bitte kommt, sobald Ihr
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