Wind Der Zeiten
anlief.
»Entschuldigung, Mylady«, stammelte das Kind.
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, das war eine völlig gerechtfertigte Frage, wenn man bedenkt, wie wenige Mädchen diese Schule besuchen. Doch jetzt gib mir eine Antwort, was schreibst du da?« Stockend trug er den lateinischen Text vor. »Und was heißt das?«
Donaidh sah mich verwirrt an und wiederholte die Passage.
»Du hast nicht den blassesten Schimmer, nicht wahr?« Das wunderte mich nicht, denn der Text stammte von Julius Cäsar.
Der Lehrer mischte sich ein. »Man kann ihnen unmöglich die heilige Schrift als Vorlage geben. Das wäre Blasphemie.«
»Aber warum geben Sie den Kindern keine gälischen Texte zum Schreiben? Es ist ihre Muttersprache, nicht Englisch und schon gar kein Latein.«
Hilfesuchend sah der Lehrer zu Alan hinüber, der irgendetwas wie »das hätte ich mir ja denken können«, murmelte und mich beiseitezog. »Wir werden diese Dinge später besprechen«, sagte er und dann lauter: »Danke, Donaidh! Du kannst dich jetzt setzen. Auf Wiedersehen, Kinder.«
Ich konnte gerade noch winken, da stand ich schon vor der Schultür. »Was soll das denn?«
»Unser Lehrer muss hier täglich über sechzig kleine Teufel beaufsichtigen und ihnen nebenher auch noch etwas beibringen. Wie kannst du da vor den Kindern seine Autorität infrage stellen?«
»Das habe ich nicht getan!«, wollte ich aufbrausen, aber dann musste ich Alan Recht geben. »Es tut mir leid.«
Er half mir aufs Pferd. »Ich habe diesen jungen Mann eingestellt, damit er die Kinder besser ausbildet, als es bisher geschehen ist. Er hat zusammen mit meinem jüngeren Bruder Callum in Edinburgh studiert. Du willst immer alles auf einmal, aber so funktioniert das nicht. Man muss behutsam vorgehen, wenn man etwas bewegen will, sonst ziehen die Menschen nicht mit.«
Nun verstand ich. »Darum die Dankesrede. Du hast die Schule tatsächlich neu ausgestattet.« Ich dachte an den unbefestigten Lehmboden und die stickige Luft, die mir fast den Atem geraubt hatte. Wenn diese Schule modern war, dann mochte ich mir gar nicht vorstellen, wie es dort vorher ausgesehen hatte.
»Genau, vorher mussten die Kinder ihre Schemel selbst von zu Hause mitbringen, und glaube mir, das ist im Winter kein Vergnügen, wenn man zusätzlich noch den Torf zum Heizen den weiten Weg morgens durch die Dunkelheit schleppen muss.
»Du bist dort auch zur Schule gegangen?«
Die Überraschung musste mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn Alans Lippen umspielte ein kleines Lächeln, als er sagte: »Mein Vater bestand darauf. Vormittags musste ich ins Dorf und mit den anderen Kindern lernen. Ein guter Chief müsse das Leben seiner Leute genau kennen, sagte er immer. Ihm war klar, dass man mir dort nicht viel beibringen würde. Lesen und Schreiben konnte ich längst, und so hat er große Teile meiner Ausbildung selbst übernommen. Später wurde neben Angus noch ein französischer Hauslehrer engagiert, der mich in Latein und Mathematik unterrichtete.«
»Zweifellos in seiner Muttersprache.«
»Natürlich, er konnte ja weder Englisch noch Gälisch, der arme Mann.«
Eine Weile ritten wir schweigend nebeneinander her, und ich genoss die Ruhe um uns herum. Doch bevor wir Castle Grianach erreichten, sagte ich: »Und warum sind so wenige Mädchen in der Schule?«
»Auf diese Frage habe ich gewartet. Ihre Eltern halten es nicht für notwendig, dass sie mehr als ein wenig Lesen und ihre Bibelverse beigebracht bekommen. Vielleicht noch etwas Rechnen, das war’s dann aber schon.«
»Das muss sich ändern«, verlangte ich.
»Joanna, ich kann sie nicht zwingen.« Alan schaute mich an. »Also gut, ich werde mir etwas überlegen«, versprach er.
Das gemeinsame Abendessen verlief ereignislos. Anfangs hatte ich einen Knoten im Magen, als ich Angus’ Blick begegnete. Doch genau wie Alan verriet er mit keinem Wimpernschlag, wie ihr Gespräch am Nachmittag verlaufen war. Vielleicht hatten sie auch keine Gelegenheit zu reden, überlegte ich und entspannte mich allmählich.
Alan hatte sich meine Worte zu Herzen genommen. Er bemühte sich dieses Mal, mit Mary Campbell zu plaudern, fragte sie, wie ihr die nachmittägliche Bootsfahrt auf dem See gefallen habe und ob sie mit ihrem Zimmer zufrieden sei.
Dafür liebte ich ihn gleich noch etwas mehr. Doch die junge Frau war schüchtern wie immer und schaute kaum auf, wenn sie mit leiser Stimme antwortete. Mary blühte nur auf, wenn Lachlan das Wort an sie richtete.
Anabelle
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