Wind Der Zeiten
den riesigen Versammlungsraum, der einen direkten Zugang zur New Hall hatte, in der erst vor ein paar Tagen die Gerichtsverhandlung abgehalten worden war.
Die Atmosphäre vibrierte geradezu vor unterdrückten Aggressionen. Etwa zwanzig Männer standen im Kreis um die zwei Kontrahenten herum. Keiner von ihnen nahm mich wahr. Aus dieser Perspektive wurde deutlich, dass beide Räume eine Einheit bildeten, nur durch ein paar Stufen voneinander getrennt.
Und genau an dieser Stelle machte der oben in der Tower Hall stehende Lachlan in dieser Sekunde eine Finte und stach mit kriegerischem Schrei dem überraschten Gegner seine Schwertspitze in die ungedeckte Schulter. Die im Kreis um die Kämpfer herumstehenden MacCoinnaichs johlten und riefen Díleas gu bràth , was so eine Art Schlachtruf zu sein schien.
Der Verletzte hielt die linke Hand auf den rasch größer werdenden Blutfleck auf seinem Hemd gepresst und schwankte.
Erstaunlicherweise war es Lachlan, der ihn auffing, bevor er zu Boden ging und gemeinsam mit einem der Mackenzies zu einer an der Wand stehenden Bank schleppte, wo sie ihn ablegten.
»Duncan!« Jetzt erst sah ich auch Alan. Er sandte Mòrags Freund los, damit er Verbandszeug holte. Es dauerte nicht lange, bis Dolina und einige Mädchen mit einer Wasserschüssel, Leinen und – wie es aussah – einem Krug Whisky herbeigelaufen kamen. Andere trugen Becher mit Ale, und zu meiner größten Überraschung tranken Freund und Feind jetzt auf das Wohl der Kombattanten.
»Die sind doch verrückt.« Die ganze Situation hatte etwas Surreales.
Hinter mir lachte jemand, und als ich mich umdrehte, schaute ich in die fröhlichen Augen von James.
Nie zuvor war ich Zeugin einer blutigen Auseinandersetzung geworden, aber eine anschließende Verbrüderung der Gegner erschien mir doch ausgesprochen ungewöhnlich. »Lachlan hätte den armen Kerl beinahe getötet, und jetzt saufen sie zusammen?«, fragte ich James.
»Niall Mackenzie hat ihn herausgefordert. Natürlich hatte er keine Chance, und außerdem ist er ein Freund von Lachlan. Oder war es zumindest früher einmal«, fügte er nachdenklich hinzu.
»Ach so?« Und dann erinnerte ich mich. »Das ist der durchgeknallte Bruder von dem erschlagenen Jungen, diesem Alexander, stimmt’s?«
»Wenn du mit durchgeknallt meinst, dass er«, James tippte sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe, »ein wenig verwirrt ist, dann hast du Recht. Das ist Alexander Mackenzies Bruder, und er hat eine Riesenwut auf uns.« James umfasste meinen Ellbogen und führte mich zu einer Fensterbank. »Trink, Mädchen. Du bist ja ganz blass«, sagte er und drückte mir einen Becher Ale in die Hand.
Misstrauisch schnupperte ich an dem Gebräu und schüttelte den Kopf. »Ein Wee Dram wäre mir jetzt lieber.«
Er lachte und winkte einem der Mädchen zu. »Lady Joanna mag unser Ale nicht, bring uns Uisge-beatha .«
Ich nahm vorsichtig einen Schluck und versuchte mich auf das angenehme Brennen in meinem Magen zu konzentrieren. Ein kurzer Blick auf die blutige Wunde in der Schulter des Ohnmächtigen hatte beinahe ausgereicht, um mein Frühstück wieder hervorzubringen. »Wenn Lachlan so überlegen ist, warum hat er die Herausforderung überhaupt angenommen?«
»Um ihn nicht zu beleidigen.«
»Das verstehe ich nicht.« Den Blick fest auf James gerichtet,
vermied ich es ganz bewusst, noch einmal in die Richtung des Verletzten zu sehen, obwohl die Versuchung groß war.
»Jeder weiß, dass Lachlan der beste Schwertkämpfer der Gegend, vielleicht sogar an der ganzen Westküste ist. Mit Ausnahme des Gleanngrianach , selbstverständlich. Den hat noch niemand besiegt, aber er hätte ebenso gehandelt wie sein Bruder. Sie müssen nichts beweisen, und deshalb verletzten sie ihre Herausforderer nach einem Schlagabtausch, der meist gefährlicher aussieht, als er ist, nur ganz leicht, damit der Gegner möglichst keine bleibenden Schäden davonträgt. Auf diese Weise wahrt jeder sein Gesicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Das war schon immer so, es kommt schnell mal zum Streit, aber die meisten Kämpfe enden, sobald Blut fließt.«
»Entwickelt ihr Männer euch denn überhaupt nicht weiter? Man hätte das Problem doch sicher ebenso gut in einem vernünftigen Gespräch lösen können.«
James schaute mich ratlos an. Konnten sie sich wirklich nicht anders verständigen als ein Rudel Wölfe, das bei jeder Meinungsverschiedenheit die Zähne fletschte?
»Aha, hier bist du, Kleines! Ich hätte mich auch
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