Wind Der Zeiten
die Finger von seiner Tochter lassen solle. Das Mädchen stand bockig weiter hinten im Raum und sah nicht so aus, als sei sie mit den Forderungen ihres Vaters einverstanden. Alan erinnerte die beiden daran, dass sie ihren Familien Gehorsam schuldeten. »Wenn es Probleme gibt, könnt ihr zu mir kommen, jeder von euch.«
Es folgte eine Anzahl kleinerer Vergehen und Streitigkeiten, die er ausnahmslos so diplomatisch entschied, dass jede Partei mit dem Gefühl nach Hause gehen konnte, einen Sieg errungen zu haben.
Ich fragte mich, wie lange das noch gehen würde. Der Ochse im Kamin musste allmählich gar sein, und mein Magen knurrte einmal so vernehmlich, dass einer der großen Jagdhunde seinen Kopf hob und zurückknurrte. Beide waren während der Verhandlung immer näher gerobbt und rissen sich inzwischen darum, von mir hinter den Ohren gekrault zu werden. Ein warnendes Wort von Alan genügte. Die Tiere legten sich flach auf den Boden und schauten ergeben zu ihrem Herrn auf. Glücklicherweise war bald darauf tatsächlich Schluss.
Zu den Klängen der Dudelsäcke wurden Tische und Bänke aufgestellt, Mädchen schleppten Schüsseln und Becher herein, und die Köchin schnitt große Stücke vom Braten herunter, um sie anschließend auf hölzernen Platten zu verteilen. Ghillies schöpften Ale aus einem Fass, wir bekamen endlich auch etwas serviert, und alle aßen und tranken vergnügt. Später begann der Fiedler zu spielen, und ein begnadeter Flötenspieler kam dazu, um Maggie MacRath bei ihren heiteren Liedern zu begleiten. Alan wirkte jetzt wesentlich entspannter, und als sich unsere Blicke trafen, huschte ein warmes Lächeln über sein Gesicht. Genau in diesem Moment sah Anabelle herüber. Missbilligend verzog sie den Mund und flüsterte Mary etwas ins Ohr, die daraufhin den Kopf noch tiefer hängen ließ. Lachlan war zwar rührend um sie bemüht und hatte während der Verhandlung ständig übersetzt, aber es musste schwierig für sie sein, überhaupt kein Gälisch zu verstehen. Ich hatte auch so meine Probleme gehabt, aber im Wesentlichen der Verhandlung folgen können. Manchmal war Duncan eingesprungen und hatte mir mit kurzen Erklärungen oder Hintergrundinformationen geholfen. Er war ein echter Freund.
Immer wieder spürte ich, wie die Leute neugierig zwischen den Campbells und mir hin und her schauten. Mary sah in ihrem Kleid wie eine echte Lady aus, während mir schon wieder ein paar vorwitzige Strähnen ins Gesicht hingen, das, von Aufregung und vom ungewohnten Ale erhitzt, sicherlich auch noch glänzte.
Der Tartan mit seinem speziellen Muster und den Farben der MacCoinnaich-Chiefs auf meiner Schulter wurde jedenfalls durchaus registriert und fand nicht nur Beifall. Die meisten aber sahen mich erstaunlich wohlwollend an, und einige
besonders vorwitzige Gäste hoben gelegentlich ihre Becher, um mir zuzuprosten.
Außer einem verlegenen Lächeln fiel mir keine gescheite Reaktion ein. Ich nahm mir vor, bei der nächsten Gelegenheit mit Alan noch einmal über meine Position in diesem Haushalt zu sprechen. Augenscheinlich war das Geheimnis unserer Begegnung am Steinkreis längst keines mehr, und man hielt mich für seine Geliebte. Was, wie mir in diesem Moment schlagartig deutlich wurde, auch stimmte. Kein Wunder, dass die Clansleute gespannt darauf warteten, was als Nächstes passieren würde. Uns zu beobachten, war für sie vermutlich unterhaltsamer, als es jede Daily Soap gewesen wäre.
Auf einmal entstand in der Tower Hall ein Tumult, und der nächste Akt des absurden Schauspiels, in das ich geraten war, bahnte sich an. Ein wütender Fremder mit gezücktem Schwert stürmte herein, gefolgt von etwa zehn bis an die Zähne bewaffneten Kriegern.
Duncan, der zwischendurch gegessen und dabei ein wenig mit Mòrag geflirtet hatte, kehrte blitzschnell an meine Seite zurück. Die MacCoinnaichs sprangen auf und griffen ebenfalls zu ihren Waffen.
Eine gefährliche Situation, doch Alan erhob sich ruhig und nur die Hand auf dem Griff seines Schwerts zeigte, dass er bereit war, sofort loszuschlagen. Mit einer Stimme, die jedem von uns Schauer über den Rücken jagen musste, obwohl oder vielleicht gerade weil sie keinerlei Gefühlsregung preisgab, begrüßte er den Eindringling, als sei dieser ein willkommener Gast: »Sei gegrüßt, Cladaich. Was verschafft uns die Ehre deines Besuches?«
»Das weißt du ganz genau.« Cladaich, oder genauer Robert Mackenzie aus Cladaich, der Clanchief, war rot im Gesicht
und schwitzte
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