Wind Der Zeiten
Ale zu bedienen.
»Die Sache wird jetzt von den Chiefs ausgetragen«, erklärte Mòrag, die sich zu mir gesellt hatte. »Solange sie verhandeln, gilt das Gesetz der Gastfreundschaft. Vater hat übrigens angeordnet, dass die Campbells und du hierbleiben, solange der Gleanngrianach verhandelt. Es soll alles so normal wie möglich weiterlaufen.«
»Normal? Ein Mord ist geschehen.«
»Eben deswegen. Die Zeiten der Clankriege gehören, Gott sei Dank, der Vergangenheit an.«
Widerstrebend blieb ich auf meinem Platz sitzen. Wer konnte so etwas Entsetzliches getan haben? »Kennst du das Opfer?«, fragte ich Mòrag.
»Alexander kannte ich kaum, eigentlich nur vom Sehen. Sein Vater hat nicht nur einen Arm, sondern auch seinen Verstand in den Fünfzehner-Kriegen verloren. Alexander hat sich mit seinem älteren Bruder Niall um das Land gekümmert, während der Alte unentwegt wirres Zeug vor sich hin brabbelnd durch die Gegend gestreift ist. Sie mussten ihn regelmäßig einfangen und nach Hause zurückschleppen, bis Niall ihn eines Tages erschlagen in den Klippen gefunden hat. Es
heißt, er sei schrecklich zugerichtet gewesen. Kurz zuvor wurde beobachtet, wie Rotröcke in der Nähe vor Anker gingen.«
»Wie schrecklich. Ist dieser Niall auch hier?«
»Das glaube ich nicht. Als Buben galten Lachlan und er zwar als unzertrennlich, die Jungs sind bei uns im Tal aufgewachsen. Aber das ist schon lange vorbei, und man erzählt sich, er sei inzwischen genauso seltsam wie sein Vater und wandere jede freie Minute am Strand entlang.«
»Das ist doch nichts Schlimmes«, wunderte ich mich.
»Vielleicht nicht. Aber er erzählt, ihm wäre dort eine Meerjungfrau begegnet, die ihn küsste und versprach, eines Tages zurückzukehren.«
»Und nun sucht er überall nach ihr?«
»Verrückt, nicht wahr? Dabei weiß doch jeder, dass man diese See-Feen nur an sich binden kann, wenn man ihnen den abgelegten Pelz fortnimmt. Ohne den können sie nämlich nicht mehr ins Wasser zurückkehren.« Ihre Augen funkelten, und ich war nicht sicher, ob sie wirklich daran glaubte oder sich einen Spaß mit mir erlaubte. Deshalb entgegnete ich ernst: »Wirklich? Warum hat er bloß bei der ersten Begegnung nicht daran gedacht.«
Wir schauten uns an und begannen beide zu lachen. Mòrag war es gelungen, mich aufzuheitern, und dagegen konnte auch der missbilligende Blick der Campbells nichts ausrichten.
Nach nicht allzu langer Zeit brachen die Mackenzies auf. Offenbar waren die Verhandlungen der Chiefs beendet, und sie kehrten nach Hause zurück. Höchste Zeit, denn ich musste so nötig, dass ich nicht mehr stillsitzen konnte. Schnell flüsterte ich Mòrag ins Ohr, dass ich gleich wiederkäme. Ich wollte durch die verborgene Tür und dann hinauf in mein Zimmer laufen. Warum hatten die Menschen eigentlich erst
so spät vernünftige Toiletten erfunden? In der Dunkelheit hinter dem Wandteppich stieß ich mit jemandem zusammen und hätte das Gleichgewicht verloren, wäre ich nicht aufgefangen worden.
»Joanna.« Alans Stimme floss wie warmer Honig an meiner Seele entlang. Und nicht nur dort, wie es schien, denn sofort verspürte ich den Wunsch, seine Hände an ganz anderen Stellen zu spüren. Er tat mir den Gefallen – bald ging mein Atem stoßweise, wenn ich überhaupt dazu kam, Luft zu schnappen, so gierig küssten wir uns. »Das wollte ich schon den ganzen Tag über tun«, flüsterte er gegen meinen Hals, und meine Nackenhärchen stellten sich auf, als ich seinen Atem spürte. »Dieser Duft raubt mir seit Stunden fast den Verstand.«
»Alan, ich …«
»Pscht!«, unterbrach er mich und verschloss meinen Mund mit weiteren Küssen. Meine Versuche, mich ihm zu entwinden, erregten ihn noch mehr. Als er begann, meine Röcke hochzuschieben, gelang es mir endlich, mich zu befreien und mit einem erstickten: »Ich kann nicht!«, floh ich die Treppen hinauf in mein Zimmer.
Wie peinlich. Abgesehen davon, dass ich während unserer heimlichen Begegnung von Visionen geplagt worden war, wie sich der Wandteppich unbemerkt herabrollte und wir vom halben Clan in flagranti erwischt würden, hatte ich den Nachttopf wirklich in letzter Sekunde erreicht. Buchstäblich erleichtert wollte ich zurückkehren. Auf halbem Weg kam mir Mòrag entgegen: »Was ist passiert?«
»Warum fragst du?«
»Der Gleanngrianach sah aus wie der Leibhaftige selbst, als er in die Halle zurückkam. Er hat gedroht, alle eigenhändig aufzuhängen, die irgendetwas mit den Mord zu tun haben. Es
heißt
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