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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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schob es sich in die Hosentasche. Tina kam herein, sie hatte sich im Umkleideraum den Badeanzug übergestreift und sah aus wie der schönste Tod, den Eddie je gesehen hatte. Mädchenhaft, elegant, wild; zu mager, zu tiefliegende Augen. Horst sagte zu Tina: »Steht dir gut!« Und zu Eddie: »Also ihr geht jetzt mal baden. Ist ja geheizt. Und nachher sehen wir weiter.« Husch zur Tür hinaus. Eddie kramte im Schrank nach einer Badehose. Er hörte Tina ins Wasser springen.
    Tina war so gelöst im Wasser, einmal zog sie Eddie sogar wie zum Spiel an sich, dann stieß sie ihn wieder weg und schlug, durch den Rückstoß auf dem Rücken wegtreibend, mit kräftig rudernden Beinen Fontänen in sein Gesicht. Je länger Eddie schwamm, desto besser fühlte er sich. Das konnte noch gutgehen. Das konnte noch was werden. Die beiden waren noch im Becken, als ein Mann durch die Tür trat und sich durch Räuspern ihre Aufmerksamkeit verschaffte.
    »Herr Ruhland. Ihr Herr Vater bat mich auszurichten, daß er es sehr, sehr bedauert, aber daß er geschäftlich unabkömmlich ist und deswegen das Haus bereits verlassen hat, ohne sich von Ihnen beiden verabschiedet zu haben. Er bat mich auch, Ihnen mitzuteilen, daß Ihre Sicherheit hier nicht gewährleistet ist. Ihr Herr Vater wäre sehr glücklich, wenn Sie beide hier ihr Gastrecht in der angemessenen Weise wahrnehmen könnten, aber er bittet Sie, in Anbetracht der herrschenden Umstände, Rothenburg noch heute zu verlassen. Er sagte, er sei weder allmächtig noch unverwundbar. Ihr Herr Vater sagt, ihm seien die Hände gebunden. Er bittet Sie beide, das Geschenk, das ich hier auf dieser Bank ablege, anzunehmen.«
    Eddie hatte sich während der kleinen Ansprache mit rudernden Armen knapp über Wasser gehalten. Als der Mann sich vorbeugte, um ein kleines Paket auf einer hölzernen Badebank an der Längsseite des Beckens abzulegen, ließ Eddie sich sinken. Unter Wasser faßte er noch den Entschluß, den Mann zu fragen, wer er denn eigentlich sei, aber als er sinnlos vor Wut wieder auftauchte, war der Mann schon wieder verschwunden. Tina, zwei Meter entfernt, sah nun sehr wie ein enttäuschtes Mädchen aus. Eddie sagte: »Komm.«
     
    Das »Geschenk« war eine Blankocybercard zum Geldabheben bei allen Banken in 132 Ländern der Erde und zum Einkaufen an jedem verdammten Tresen dieser Welt, der über ein Lesegerät verfügte. Zum Pinkeln in einem Pariser Kabinenklo, zum Butterteetrinken im Himalaja, zum Bagel-Essen in New York. Wahrscheinlich mit mehr Kredit drauf als Eddie in seiner ganzen Zeit bei der Impact verdient hatte. Alles wurde sehr eilig. Sie trockneten sich ab, sie sprangen in ihre Hosen, sie rafften ihr Gerümpel zusammen. Eddie prüfte, ob die Waffen geladen waren, am liebsten hätte er einen Schuß aus seiner Donnerbüchse auf die dicken Knödel im Wohnzimmer seines Vaters abgegeben, aber dann wären sie schon an der hauseigenen Security gescheitert. Sie flohen aus dem Haus, in das sie geflohen waren, und als sie in das Rad sprangen, hatte Eddie einen Tagtraum: eines Tages würde er mit einem einfachen Fünfliterkanister voller Terpentin hierher zurückkehren und Feuer machen. Die wirkliche Wut kam erst später, auf dem Weg nach Hof. Er schrie so lange, bis Tina es nicht mehr aushielt und ihn zurechtstauchte:
    »Du hast uns in diese Scheiße reingeritten. Nicht dein Vater. Also halt’s Maul!«
    Das klang logisch. Das machte Sinn. Eddie beruhigte sich. Sie hatten noch eine Chance. Um sie zu nutzen, brauchte er einen kühlen Kopf.
     
    Man erzählte sich allerhand über den Lebensgarten. Daß keiner ohne Lügendetektortest hineinkam. Daß sie dort unten mittlerweile so viel Erde ausgehöhlt hatten wie ein mittleres Bergwerk zu den Zeiten der alten Kohleökonomie. Daß sie ihren eigenen Nachwuchs in Flaschen züchteten. Daß eine Frau da unten den Laden schmiß. Und so weiter und so fort. Weil nichts mehr aus dem Lebensgarten herauskam, was je hineingelangt war, blieben all diese »Fakten« Gerüchte. Es hätte genausogut sein können, daß im Lebensgarten irgendwelche Killermaschinen jeden Neuankömmling zu Hundefutter verarbeiteten. Aber angeblich lebten dort unten ja mittlerweile 20.000 Leute, Männer, Frauen und Kinder, angeblich waren sie vollautark und angeblich interessierte sie das, was um sie herum vorging, genauso sehr wie ein Staubsturm auf dem Mars. Wenn das stimmte, dann war der Lebensgarten, was alle anderen Bolos nur sein wollten: eine freie Kommune, völlig

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