Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
unabhängig und unbeeinflußt von der Umgebung, mit eigenen Ressourcen, eigener Energie und eigenen Gesetzen. Man erlaubte den Lebensgarten nur unter genau dieser Bedingung: daß nichts, was je hineingelangt war, wieder herausgekrochen kam, nie. Das war der Deal, und dafür ließen sie die Leute in ihrem Bunker in Ruhe. Jeder kannte den Lebensgarten, jeder hatte schon einmal mit dem Gedanken gespielt, dort für immer abzutauchen. Daß nichts aus seinem Inneren in die Medien gelangte, keine Stellungnahme, keine Kommuniques, keine Energie, keine Waren, machte ihn sehr interessant, und in der Anfangszeit hatten manche versucht, dort mit Gewalt hinzugelangen. Aber recht schnell hatte sich um den Lebensgarten ein Kult gebildet. Eine Sekte namens »Die Diener« hatte sich um den einzigen Eingang in den Bunker häuslich niedergelassen und verteidigte ihr Heiligtum zunächst mit unglaublicher Wut und später mit immer größerer technischer Finesse. Auch die Diener wurden von ihnen in Ruhe gelassen, man rechnete damit, daß sich ihr Fanatismus auf einem gewissen, sozial erträglichen Niveau einpendeln würde, wenn man sie an der langen Leine führte, und genau so war es. Die Diener fingen nicht einmal an zu missionieren, sie hüteten nur ihren Schatz, ein paar Millionen Kubikmeter Luft mit Beton drumherum. Plus angeblich 20.000 Leute. Das Bild des Haupteingangs in falschen Farben, fotografiert von einem deutsch-französischen Spionagesatelliten aus 300 Kilometer Höhe, hatten die »Wired Doctors« seinerzeit zur Titelgrafik für ihre zweite CD gemacht (»Sun’s got a hole«), und dieses Bild wollte Eddie seit der Flucht aus Rothenburg nicht mehr aus dem Kopf. Er war sich sicher, daß es Tina genauso ging. Die Diener wiesen Neuankömmlinge genauso unbegründet zurück, wie der Lebensgarten selbst. Schlauere als er hatten Muster aus diesen Ablehnungen herauszulesen versucht, Persönlichkeitsprofile, die größere Chancen hatten als andere, Zufallsalgorithmen; wer wollte, konnte sich bei zehn esoterischen Versandhäusern Eintrittskarten in den Lebensgarten bestellen, die im Kleingedruckten darauf hinwiesen, daß es für nichts im Leben eine Garantie gab: niemand kannte den Trick wirklich. Eddie und Tina fuhren zum Lebensgarten, Eisleben. Dort war früher, so wußte Eddie aus dem Netspace, die Deutsche Demokratische Republik gewesen.
     
    Es war Eddie nicht klar, warum sie bis zur ersten Raststätte gewartet hatten. Es war ihm auch nicht klar, warum jetzt der Bulle seine hartschaumgeschützte Kniescheibe auf seinem Rückgrat geparkt hatte, aufstehen konnte er ja ohnehin nicht mehr. Wie auch, wenn seine beiden Beine mit Kleister an den Asphalt gefesselt waren, und seine Hände, ebenfalls verklebt, Fläche an Fläche, auf seinem Rücken lagen. Interessante Sache, dieser Kleister. Hatte die alten, unpraktischen und erstaunlich sicherheitsdefizienten Handschellen völlig ersetzt. Wurde aus einer kleinen Klebepistole verschossen, die pro Schuß einen Fingerhut von diesem Scheißdreck veranlaßte, alles an allem anderen festzukleben, vorausgesetzt, alles andere war nicht weiter als zwanzig Zentimeter entfernt. Intelligenter Klebstoff. Suchte sich seinen Zielpunkt selbst. Keine Entfesselung ohne das passende Lösungsmittel (blaues Magazin an derselben Pistole), illegaler Besitz: fünf Jahre Mindestknast nach dem »Terrorismus-per-se-Gesetz« von 2023. Kleister zum Beispiel mit einer Rasierklinge zu durchtrennen, brachte überhaupt nichts, die Klebstoffmoleküle umarmten sich hinter dem Schnitt so innig wie vorher, als hätte man Milch durchschnitten. Mit freundlichen Grüßen der Henkel KGaA, Düsseldorf. Also Kleister. Irgendwo hinten in seinem Bewußtsein versuchte sich Tina aus dem Kleister herauszuwinden, war aber weit weg. Er konnte nichts für sie tun. In seinen Ohren pumpte das Blut. Der Bulle durchsuchte seine Taschen gewissenhaft und gekonnt mit der linken Hand, während er Eddie die Mündung seiner Sig-Sauer zwischen die Nackensehnen drückte, Eddie war empfohlen worden, sein Kinn auf dem Asphalt aufzustützen, bei Lebensgefahr. Der Bulle trällerte ein wenig vor sich hin, er war vielleicht am Abend vorher im Kino gewesen. Leider hatte sich der gute Mann Eddie nicht vorgestellt. Bevor Eddie niedergeschlagen worden war (zum Glück kein Treffer aufs gelbgrüne Auge): ein Tippen auf seiner Schulter, ein Augenschlitz in einer Baumwollsturmhaube und ein grüner Stahlhelm mit Funkausstattung, der den Kopfaufbau militärischkompakt

Weitere Kostenlose Bücher