Wind & Der zweite Versuch
Wachmänner am Checkpoint sahen noch sehr offiziell aus, trugen Sonnenbrillen, Barrette, kleine Schilder mit Barcodes darauf am Revers und G4-Sturmgewehre in der Hand (irgendwie vermißte Eddie die blankpolierten Bajonette). Sie ließen Eddie und Tina eine halbe Stunde warten. Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor waren hier grundsätzlich verdächtig, es sei denn, sie wurden von den Anwohnern gefahren. Eddie spürte, daß Tina am liebsten ihre Unterhaltung von der Fahrt noch fortgesetzt hätte, sie war nach dem Streit über Neon die ganze Zeit bemüht gewesen, die verlorenen Tage zurückzuholen. Auch Eddie hätte gern mit ihr seine schlimmste Vermutung besprochen: daß der Grund für den »Luxusabgang« aus dem Strahlungenbolo einzig und allein darin zu suchen war, daß Cozmic die Gezeitenmaschine haben wollte. Er wußte nicht, wo er danach suchen sollte, nachdem er sie nicht bei Eddie und Tina gefunden hatte, also hatte er sie laufenlassen, dafür gesorgt, daß sie nicht gleich von jemand anders einkassiert wurden, um unweigerlich seine Hand aufhalten, wenn Eddie und Tina wieder dahin zurückkehrten, wo sie versteckt war. Eddie hätte sich in den Arsch beißen können, daß er Cozmic gegenüber die Gezeitenmaschine überhaupt erwähnt hatte. Aber er hatte wohl nicht anders gekonnt. Eddie hatte das bestimmte Gefühl, daß Neonbaby ihnen nicht zum letzten Mal über den Weg gelaufen war. Er dachte grimmig: ›Noch ein paar Trittbrettfahrer, und wir ziehen alle Idioten Deutschlands hinter uns her.‹ Er dachte das nicht laut, denn hier wurde schon jede seiner Kopfbewegungen aufgezeichnet, und Eddie mochte die unautorisierte Aufzeichnung privater Gespräche noch weniger als die unautorisierte Aufzeichnung von Kopfbewegungen. Endlich machten die Wachleute den Weg frei, Eddies Sicherheitscode schien noch zu gelten, und die beiden glitten hinein nach Rothenburg ob der Tauber City. Überall die Schwarzjacken, mit Uzis am Rücken wie festgesaugt, schwarzes Metall auf schwarzem Leder, Sonnenbrille war auch DRINNEN Pflicht (nicht daß gerade die Sonne geschienen hätte), Barett hingegen verboten. Einer pro Pärchen trug einen Knopf im Ohr, dem anderen hing ein Walkie-Talkie vom Gürtel. Alles wie gehabt, dachte Eddie, der sich noch von seinem allerersten und bis dato einzigen Besuch an die gediegene Atmosphäre Rothenburgs erinnerte, ein bißchen paranoider wirkte die Veranstaltung jetzt auf ihn noch, oder wer war hier paranoid? Eddie dämpfte Tinas Tempo ein bißchen, er wollte verhindern, daß sie unversehens an einer computergesteuert aus dem Boden wachsenden Panzersperre zerschellten oder daß sie allein aufgrund ihrer Geschwindigkeit für die Uzitypen zu einem Sicherheitsproblem wurden. Dasselbe Spiel wie am Eingang des Dorfs noch einmal vor dem Anwesen seines Vaters, wie die meisten anderen Anwohner beschäftigte sein Vater seine eigenen Sicherheitsleute, einfach der größeren Loyalität wegen. Auch hier waren die Lederjacken schwarz, aber sie trugen das Logo einer anderen Firma. Die Firma gehörte seinem Vater. Sie stellten das Rad hinter dem Sandsteintor ab, gerade als die beiden voneinander unabhängigen Sicherheitsschleusen im Rücken der Wachleute in ihren Halterungen einrasteten. Den Kiesweg bis hoch zu dem kleinen Fachwerkwasserschloß mit diversen Anbauten, in dem sein Vater wohnte, gingen sie zu Fuß.
»Was macht dein Vater eigentlich?« fragte Tina, und sie flüsterte dabei fast, hörbar beeindruckt.
Eddie dachte entnervt: So leise kannst du gar nicht flüstern, daß es nicht aufgezeichnet wird. Er wollte nicht sagen: »Gentech«. Er wollte nicht »Herbizidresistenter Turboraps« sagen. Er wollte nicht sagen: »Bioingenieur.« Deswegen sagte er:
»Er züchtet Rosen.«
Das tat er wirklich, und zwar in einem vollklimatisierten Gewächshaus, das im Moment noch vom Hauptgebäude verdeckt wurde, er hatte sogar eine eigene Sorte gezüchtet, die von einer bekannten Gartenbaufirma (hauseigen) vermarktet wurde. Er hätte genau so gut sagen können: Mein Vater schießt auf Tontauben. Mein Vater spielt Pferdepolo. Nur waren das nicht gerade seine Hauptbeschäftigungen. Das Fachwerkwasserschloß stand, umgeben von einem wirklichen Wassergraben, auf einer kleinen Insel, die Nebengebäude erreichte man über putzige kleine Brücken und freitragende Fachwerkausleger (praktisch bei Regen). Während Eddie und Tina die Brücke benutzten, die den Wassergraben zum Haupteingang des Hauptgebäudes überspannte, öffnete sich die
Weitere Kostenlose Bücher