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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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zur Probe darauf herumgesprungen. Auch so ein Gringotrick. Hatten sie einem der Deutschen abgenommen, der jetzt wahrscheinlich immer noch kopfüber in dem Termitenhaufen steckte, wenn die Schnur an seinen Zehen gehalten hatte. Allerdings würde nicht mehr viel von ihm übriggeblieben sein, schätzte Jorge. Seine Männer waren ganz wild auf die deutschen Söldner, weil sie die schlimmsten waren. Wenn eine der Plattformen rein aus Spaß über einem Dorf angehalten hatte, um eine Schallbombe abzuwerfen, for no reason, dann war sie von Deutschen besetzt gewesen, da konnte man sicher sein. Milchbärtige muskelbepackte Steroidbomben mit den Logos ihrer Auftragsfirmen auf den Tarnanzügen und gezackten Überlebensmessern am Gürtel: so kamen diese Berserker hier an, um ein bißchen Krieg zu spielen, und wenn sie merkten, daß das gar nicht lustig war, nicht einmal so lustig wie es ihr eigener Bürgerkrieg gewesen sein mußte, dann machten sie sich den Spaß eben selber. Diese Jungs hatten eine unerschöpfliche Phantasie, wenn es ums Zerstören ging, auch wenn sie sonst kaum lesen können. Jorge seufzte. Wenn man die Sechzehnjährigen bei Licht betrachtete, mit denen er durch die grüne Nacht zog, um corporates an den Zehen in Termitenhaufen hineinzuhängen, und die auch nichts anderes kannten als das: er schüttelte den Kopf. Das letzte Leuchtelement spielte schon ins Grünliche hinüber, und Anas schweißnasses Gesicht sah jetzt schon aus wie das einer Leiche. Es machte ihn selbst krank, sie so da liegen zu sehen. Jorge fingerte eines der wenigen verbliebenen Leuchtelemente aus der Feldtasche, schüttelte es und knickte es in der Mitte durch: Licht im Zelt. Keine Elektrizität, oh nein, keine Elektrizität, gerade jetzt mochte eine der Plattformen über den Kronen der Bäume schweben, zu deren Wurzeln sich die Schwadron eingegraben hatte, und wenn ihre SQUIDS einen noch so kleinen Funken von Elektrizität ausmachen würden, würden sie eine ihrer Schallbomben werfen, und Jorge und all seine Leute würden sterben, mit geplatzten Lungen und blutenden Ohren. Jorge sah Ana an, und es schmerzte ihn zu denken: sie wird sterben. Erstens hatte er sie geliebt. Zweitens war sie die Funkspezialistin der Einheit.
     
    Karen saß an einem Teich und warf kleine Steine hinein, klitzekleine Steine, und das Kräuseln der Wellen, die die Steine im Wasser schlugen, wenn sie zu lange hineinsah: es machte sie so betrunken, wie das eine Glas Wein, das sie zu ihrem neunten Geburtstag, bei ihrem Initiationsritual hatte trinken müssen, in einem weißen Kleid, mit einem Kranz aus Blumen auf dem Kopf. Sie war sich ein bißchen albern vorgekommen in diesem Kreis aus neugierigen und aufgeregten Erwachsenen, die um sie herumstanden und sie ermutigten, das kleine Glas mit der roten Flüssigkeit an die Lippen zu setzen. Die Wellen im Wasser wirkten wie die Wellen des Alkohols in ihrem Körper, damals, das war lange her, sie würde bald zehn sein, und warf Steine in einen Teich, die Wellen warfen, die … Ich bin gut im Rechnen, dachte Karen. Außerdem dachte sie folgende Dinge:
    - Bald werde ich zehn
    - Es gibt welche, die fliegen auf den Mond
    - Meine Mutter weiß nicht, daß ich hier bin
    - Ich bin gut im Rechnen.
    Was das Rechnen anging, so mochten es die Erwachsenen offenbar nicht so sehr, wenn ein Mädchen wie sie sich allzu gern damit beschäftigte, und ihre Lehrerin Sören hatte zu ihr gesagt: Rechne nicht soviel, Karen, zuviel Rechnen macht häßlich. Aber wieso, hatte sie gefragt. Weil ihr nämlich Zahlen das Allerschönste waren. Nicht Kleider. Nicht Puppen. Nicht Pferde. Und nicht einmal ihre … aber das dachte sie nicht zu Ende. Sondern Zahlen. Eins war weiß, zwei war grau, drei war haselnußbraun, vier war hell-, fünf war dunkelblau, sechs zitronengelb, sieben orange, acht war rot, neun wieder orange, und zehn: hatte schon kein Farbe mehr. Wellen … Wellen im Sand, Wellen im Wasser, Wellen in ihrem Körper, von oben bis unten. Zahlen machten in ihrem Körper Wellen! Aber das sagte sie keinem, nicht einmal ihrer Lehrerin. Zahlen hatten aber auch Töne, und sie hatten Geschmäcker, und noch viele andere Dinge mehr, für die ihr einfach die Worte fehlten.
    »Karen«, sagte jemand in ihrem Rücken. Und sie drehte sich um und sah von unten hoch in das besorgte Gesicht ihrer Mutter. Wie zur Entschuldigung zeigte sie ihrer Mutter die Uhr, die an ihrem Hals baumelte, aber ihre Mutter seufzte nur und sagte:
    »Wie oft habe ich dir gesagt, daß

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