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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Elfe, gekleidet etwa in dem Stil vom Beginn der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts: einfarbiges, weites Rockkleid in Rot, bestickter Saum, sogenannte »Turnschuhe« aus Segeltuch. Sie blickte Leon leicht spöttisch an und folgte seinen unruhigen Bewegungen. Leon drehte sich angeekelt um und sah aus dem Fenster. Gott hatte sich große Mühe mit diesem Tag gegeben, wie mit allen Tagen in Oja. Alles war Azur und Lapislazuli, das Meer, der Himmel, und als er sich aus dem Fenster hinauslehnte, sah er den weiß angemalten Spielbeton der Häuser in dieses Blau hineinfallen und wunderte sich wie beim ersten Mal, als er das Dorf gesehen hatte, daß die ganze Chose nicht einfach abrutschte und im Göttermeer versank, Neptun auf den Kopf prasselte, beim Mittagessen. (Muscheln, Algen, Muränen.) Als er sich wieder der Lichtfigur über seinem Schreibtisch zuwenden wollte, stand Marcel im Raum, nur einige Schritt von der Prinzessin entfernt. Marcel war in den blauen sackartigen Umhang seiner Sekte gekleidet, Leon bemerkte die neue massivgoldene Spange, die dem Samtstrampler ein etwas weniger säuglinghaftes Aussehen gab. Marcel besah sich die schwebende Prinzessin und kraulte seine manirierten Koteletten. »Was soll ich nur tun«, fragte Leon Marcel, aber Marcel schien nicht richtig auf ihn zu achten, er hatte nur Augen für die Lichtfrau, deren spöttisches Lächeln nun abwechselnd ihm und Leon zu gelten schien.
    »Nicht schlecht«, murmelte er. »Das ist ein guter Ansatz. Nicht schlecht. Ausbaufähig. Das wird ankommen. Gute Arbeit.«
    »Es-ist-zum-Kotzen!« sagte Leon sehr laut, und Marcel drehte sich in gespielter Überraschung zu ihm um, gerade so als bemerkte er ihn erst jetzt.
    »Wieso?«
    »Ich bin ein Künstler«, sagte Leon, »und kein Kitschapostel. Das ist Kitsch, purer Kitsch, ein Haufen kitschiger Scheiße.«
    Es war eine Zeitlang ruhig, während sich die Prinzessin eine Strähne aus der Stirn strich, und Marcel leicht bedauernd den Kopf schüttelte.
    »Wann wirst du endlich erwachsen, Leon. Ich frage mich das ernstlich. Jetzt bin ich schon einmal fünfzehn Jahre jünger als du, praktisch eine andere Generation, und doch eindeutig erwachsener als du mit deinen Spinnereien von der autonomen Kunst und all dem anderen pubertären Kram. Was soll ich den Leuten von Evercotton sagen? ›Entschuldigung, mein Mandant, Herr Azlan, kann den Liefertermin nicht einhalten, er hat sich neuerdings wieder der reinen Kunst verschrieben, und möchte Ihnen nicht den Haufen kitschiger Scheiße liefern, den sie von ihm verlangen?‹ Soll ich Ihnen das sagen? Gut, das kann ich machen, sicher. Aber dann steht am nächsten Tag der Gerichtsvollzieher hier vor der Tür und vor deiner Wohnung in Frankfurt und vor der in San Francisco und weißt du, was dir dann übrigbleibt von den neuen Anschaffungen aus der letzten Zeit? Nicht einmal ein Furz. Du sagst: ›Autonome Kunst‹, und ich sage:
    ›Eine Million Solare Credits Vorschuß‹, und dann wollen wir doch mal sehen, wer die besseren Argumente hat. Das da«, und er nickte kurz zu der schwebenden Prinzessin hin, »ist genau das, was die Evercotton- Leute für ihre 69er- Kollektion haben wollen, aufs i-Tüpfelchen genau. Kunst ist etwas für Dilettanten. Du bist ein Profi. Wir sehen uns in Straßburg.«
    Und verschwunden war er. Eine graue Fläche auf dem Schildkrötenpanzer der Anima-5 leuchtete in einem etwas helleren Grau als vorher, wie von innen angestrahlt. Leon blickte noch eine Weile haßerfüllt erst die Stelle an, an der Marcel gestanden hatte, und dann die kleine schwarze Schildkröte auf seinem Schreibtisch. Schließlich seufzte er und zuckte mit den Achseln. Marcel hatte recht. Er winkte der Lichterscheinung in ihrem roten Baumwollkleid. »Komm her«, sagte er. Die Frau stieg auf unsichtbaren Stufen vom Schreibtisch herab, nicht mit der durchtrainierten Grazie eines professionellen models, sondern eher mit einer schüchternen Mädchenhaftigkeit, als komme sie zum erstenmal unter den Blicken eines Publikums eine Treppe herab, und Leon mußte sich sagen, daß Marcel auch mit seiner Behauptung recht gehabt hatte, er verstehe sein Handwerk: dieses Bild hatte mehr natürliche Erotik als alle Repliken, die Leon bisher gesehen hatte. Die natürlichste künstliche Erotik, die er kannte. Das Bild blieb eine Armspanne von ihm entfernt stehen. Er würde ihm cremefarbene Baumwollsocken anziehen, von denen die eine leicht verrutscht sein würde, wie er es auf einigen Bildern in den

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