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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Meeres der Stille setzt, erobert er in Wirklichkeit die USA, Teil II. Ich will das verfolgen. Ich starte eine Verfolgung. Darauf habe ich die letzten dreißig Jahre gewartet. Sie wollen das Spektakel. Ich will es auch, von der dunklen Seite des Mondes her.
    Das übliche Gemisch aus klaren Aussagen und unverständlichem Gekritzel. Isabelle stutzte: der Zettel trug kein Datum. Konnte es sein, daß …? Vielleicht hatte sie die Nadel im Heuhaufen gefunden. Sie faltete das Papier und steckte es sich in die Hosentasche. Hier würden ihr die Kriminaltechniker weiterhelfen. Aber nicht bei ihrem Unwissen über das letzte Jahrhundert. Davon wußte sie nur soviel, wie man ihr in den Schulstunden daheim über den Bildschirm hatte flackern lassen, und das war wenig genug gewesen, ihre Vergeßlichkeit nicht eingerechnet. Ziolkowski? Wer um alles in der Welt war Ziolkowski gewesen? Sie ging zu dem kleinen, schmutziggekratzten Waschbecken der Asservatenkammer und betrachtete sich selbst in dem abgeschmirgelten Spiegel, auf den jemand mit Lackstift geschrieben hatte: Arschloch. Als sie das Gummiband aus ihren Haaren zog, fielen die sandgrauen Locken in einer langen Flut über ihre Schultern. Sie schüttelte den müden Kopf. Sah sich in die Augen.
    »Du bist dumm«, sagte sie zu sich selbst und gab ihrer eigenen Nase einen Stups mit dem Zeigefinger. »Warum eigentlich«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild »holst du dir in diesem dumpfen Keller Depressionen, wenn du doch den Hausmeister bitten könntest, dir die Kisten in dein Büro zu tragen, damit du sie dort in Ruhe durchwühlen kannst? Ja, warum?«
    Sie strich sich die Haare aus der Stirn. Blaue Meerwasseraugen. Langsam faßten Falten den Mund ein. In drei bis vier Jahren würde sie Anspruch auf ihre erste Hautrestrukturierung haben, zunächst im Gesicht, dann am ganzen Körper. Sie würde den Hausmeister höflichst bitten. Sie würde sich eine Standleitung zur Datenbank der ENS durchschalten lassen. Sie würde Forêt bei ihrem einstigen Abschied einen Brief schreiben, mit folgendem Inhalt:
    »Geh in die Asservatenkammer. Sieh in den Spiegel.«
    Sie griff nach ihrer Jacke und sagte dem Umweltkontrollsystem, es solle das Licht ausmachen.
     
    Es war ein Meer aus Flammen, dachte Wes, als er die Scheibe einschlug, um an den Fenstergriff zu kommen, ein Meer aus Flammen und Feuer und …, und das Glas fiel mit einem dumpfen Prasseln nach innen. Als er genauer hinsah im dämmerigen Abendlicht, erkannte er, daß jetzt drei der vier Viertel dem Fenster aus dem Kreuz geschlagen waren, und das brachte ihn in Rage, so daß er das vierte Viertel auch noch zerdepperte. Er drehte den Griff, strampelte sich zum Fensterbrett hoch, und fiel, weil er zuviel Schwung genommen hatte, vornüber in das Haus hinein, voll auf die Fresse. Er rappelte sich auf, schüttelte sich die Benommenheit aus dem Schädel und tastete nach seinem Rucksack und der Taschenlampe darin. In seinem Kopf waren wie immer der Sog und der Film, auch als er jetzt voller Angst den dunklen Raum nach anderen Tramps oder Ratten ausleuchtete. Ein Meer aus Flammen. Wir kamen von oben, und jeder brachte einen Stern mit, um ihn in das Flammenmeer zu werfen. Da war nichts in dem Raum, außer Tapeten, die vom Dach her einsickernde Feuchtigkeit von den Wänden geschält hatte, über den Boden verteilte Zeitschriften und ein riesengroßer eingetrockneter Fleck, der nach Pisse roch. Wes kicherte blöde. Er wußte, daß es hier spukte, aber das machte ihm nichts aus. Vor Ratten hatte er Angst, und vor Menschen, aber nicht vor Geistern. »Hallo, ihr Geister«, sagte er in seiner Präsidentenimitationsstimme, »ich habe keine Angst vor euch.« Er zog seine Fliegerjacke aus, die einmal grün gewesen war, die er aber im Lauf der Jahre mit Erinnerungen an den Einsatz vollgeschrieben hatte, mit Bleistiften, Kugelschreibern, Faserschreibern, und einmal auch, als er sogar zu arm gewesen war, um sich einen Bleistift zu kaufen, mit den Nägeln seiner Finger. Das Khakigrün des Stoffes war allmählich unter Schriftzügen verschwunden, und die Schriftzüge unter anderen Schriftzügen, bis ein schmierig graublauer Überzug von Farbe die ganze Jacke eingedeckt hatte. Er nahm seine Taschenlampe in den Mund und tappte in dem Raum umher, wobei er nach einem guten Platz suchte, um seine Jacke zusammen mit seinem Rucksack in einen Schlafsitz zu verwandeln. »Ein Meer aus Flammen, ein Meer aus Feuer«, summte er leise und wimmernd vor sich hin, wie ein kleines Kind.

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