Wind & Der zweite Versuch
beschäftigen, die zweifelsfrei seine« – und hier mußte er sich zum ersten Mal räuspern – »ähem … Verrücktheit unter Beweis stellen.«
Das gute Dutzend der anwesenden Kuratoriumsmitglieder raunte dumpf. Oliver öffnete seine Tasche, entnahm ihm ein Konvolut von Blättern und versuchte dabei im Blick zu behalten, ob jemand Anstalten machte, ihn zu unterbrechen.
»Ja, ja, ich spreche ein gewichtiges Urteil gelassen aus. Aber der Inhalt dieses Umschlags« (er hob das Konvolut in die Höhe) »wird auch Sie davon überzeugen, daß in diesem Fall Gelassenheit ab-so-lut nicht mit Leichtfertigkeit zu verwechseln ist. Nein, ganz gewiß nicht. Diese Sammlung von Zetteln hier ist ein kleiner Ausschnitt des Spätwerks unseres Stiftungsgründers, den mir ein M. Forêt von der französischen Polizei dankenswerter Weise überlassen hat. Wie Sie sich sicher denken können, habe ich die Echtheit der Arbeitsproben untersuchen lassen, und der allseits gepriesene Sachverständige, der sich in meinem Auftrag dieser Aufgabe gewidmet hat, hat mir versichert, daß M. Forêt der begnadetste Fälscher aller Zeiten sein müßte, um einen so hohen Grad an Übereinstimmung mit der originalen Schrift von Mr. Webster zu erreichen.«
Er trat mit dem Umschlag auf die Nächstsitzende zu, Mrs. Borland, die in der Stiftung das Amt einer Generalbevollmächtigten für die Öffentlichkeitsarbeit bekleidete und jetzt mit dem hilflosen Zurücklehnen ihres Oberkörpers Olivers zorniger Energie ausweichen wollte.
»Mrs. Borland, möchten Sie bitte so freundlich sein und sich als Glücksfee betätigen, indem sie aus diesem Packen von etwa zweihundert Zetteln irgendeinen spontan herausgreifen?«
Mrs. Borland tat, wie ihr geheißen. Oliver riß ihr den Zettel aus der Hand, betrachtete ihn kurz stirnrunzelnd und sagte dann:
»Hervorragend. Wie ich sehe, haben wir es hier mit einem absolut durchschnittlichen und repräsentativen Teil des Gesamtvermächtnisses zu tun, und ich möchte Ihnen gern ein wenig davon zu Ohren kommen lassen. Da steht etwa zu lesen: Die Weltmaschine träumt. Sie träumt wie ein Kind, das von seinen Bauklötzen träumt, und freitragende Terrassen aus roten Plättchen errichtet, Torbögen aus grünen Würfeln und Hallen aus roten Quadern. Die Welt ist ein Bastler, simsalabim, (bricolage) und niemals duldet sie es, wenn ihr jemand sagt: das geht nicht. Die Welt beschäftigt sich ausschließlich mit dem, was nicht geht. Armstrong und Aldrin und Collins sind 1969 an der Mondoberfläche zerrieben worden, so what? Die Welt versucht es noch einmal, die Welt und ihre mächtige Schwester, die Geschichte. Jahrzehntelang haben sich die Staaten zerpuzzelt wie einst das heilige römische Reich deutscher Nation nach dem dreißigjährigen Krieg, jetzt beliebt die Geschichte in einem anderen Sandkasten zu spielen, und die CSS bekommt ihre Chance. Die CSS! Wie lange das gedauert hat, bis ich begriff, daß sie wirklich eine neue Art von ecclesia darstellt. Herausgefordert von der Unendlichkeit des römischen Reichs haben die ersten Christen ihren langen Staatsstreich vorbereitet, in der sicheren Erwartung, daß ihnen eine Welt in die Hände fallen würde, wenn nur erst die alten Götter hohl genug geworden wären, um Jesus Christus hineinzuschieben, wie ein kleines Püppchen in ein größeres. Herausgefordert von der Unendlichkeit des Raums haben die Termiten der CSS an ihrem großen Plan gebaut, Blaupausen meditiert, alte Computerspeicher zum Singen gebracht, ihre eigenen geheimen Gentechniken entwickelt, an ihrer eigenen klandestinen Bibel geschrieben, alte Technik in Form von Religion tradiert, und jetzt ist ihr Moment gekommen. Die neuen Herrscher der Welt sind ihrer neuen Macht schon müde. Sie sehen das Riesenkind wachsen, und möchten, daß seine starken Arme Bäume für sie ausreißen und Berge für sie enthaupten. Sie haben keine Ahnung, an was für eine Lunte sie da Feuer legen. Das schlafende Riesenkind war die Nation, die neue Sonnen entzündete, und sie erheben sie zu den Sternen, aus Langeweile, und weil vielleicht diesmal dabei etwas mehr herausspringt als die Teflonpfanne. Die CSS ist die Kirche der Einheit und der Ausdehnung. Und der saudiarabische König und der japanische Kaiser schenken ihr eine Rakete, damit er im Gegenzug eine nordamerikanische Zollgemeinschaft erhält. Wie grotesk. Aber noch grotesker ist, wie sie alle durch die Gegend wuseln und hetzen, und dabei mit offenen Augen träumen. Sie glauben, sie sind die
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