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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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das wirklich eine gute Idee gewesen war, sofort und auf der Stelle nach der Post zu sehen, andererseits: holen würde sie ihm niemand, das mußte er schon selbst besorgen. Wie er erwartet hatte, lag der neue Cube von Apogäum im Briefkasten, er fischte die buchgroße Verpackung aus dem Kasten so schnell er konnte, verschloß ihn wieder und rannte mit seiner Beute unter dem Arm wie ein Footballspieler auf dem Weg zum Touchdown zurück zu seinem Haus, die ganzen langen zweihundert Meter. Er war nicht gut in Form, wie immer im Winter, und als er jetzt auf sein Haus zuhielt, fiel ihm wieder einmal auf, wie häßlich und grotesk diese nachgemachte Blockhütte auf ihn wirkte. Freilich, jemand, der das Haus von innen nicht kannte, hätte das rustikale Äußere für pittoresk halten können, aber im Grunde verkleidete die hölzerne Außenwand ein Mittelklassehaus wie jedes andere. Ich muß verrückt gewesen sein, dachte er und meinte seinen Entschluß von vor drei Jahren, dieses Haus zu kaufen, dieses und kein anderes. Warum wohnte er eigentlich immer noch hier? Hier hatte der Ausschlag ihn befallen, hier hatte seine Frau ihn zurückgelassen, und auch nach drei Jahren hatte er sich an die Kälte der hiesigen Winter nicht gewöhnt. Vielleicht hing der Ausschlag sogar mit irgendeinem in den Wänden des Hauses versteckten Dreck zusammen, so genau konnte ihm das niemand sagen, aber was sie ihm alle genau sagen konnten, war, daß er eine große Chance verpaßt hatte, als 2026 das Tote Meer verdampft war, dort waren vorher Hautkranke in Massen hingepilgert, um Linderung für ihr Leiden zu suchen, und vielen hatte das Salz geholfen. Für Björn gab es deswegen nur noch eine Lösung, die ihn vielleicht von dem Ausschlag befreien konnte: eine neue Haut. Das war teuer. Aber Björn hatte in den letzten Jahren als der Topkritiker für einige Online-Musikmagazine gut verdient, und er beabsichtigte, das weiterhin zu tun. Das buchförmige Päckchen landete achtlos auf dem Sofa im Wohnzimmer, und er sprintete weiter in die Küche, um seine Hände an dem immer noch dampfenden Teeglas aufzuwärmen. Der Cube glitt geräuschlos in den Aufnahmeschlitz seines Soundpanels, und auf der frei in der Luft schwebenden Projektion eines Bildschirms zeigte er mit einem Finger auf continuous play und full circle projection. Volume: 1,5. Eine ganze Zeit geschah gar nichts, aber plötzlich schien der Wohnzimmerboden wie zu beben, von extrem langwelligem Infraschall, dann kamen Glocken ins Spiel, die sich anhörten, als hätten sie mehrere Meter Durchmesser: Sie waren nicht unbedingt sehr laut, aber es war die schier unerträgliche Intensität, die den Eindruck des Gigantischen vermittelte. Björn fühlte sich, als schwebe er unter Wasser, er war wie benommen von diesen Klängen, eingeschlossen in eine Blase aus Klang. Er hatte als Musikkritiker schon viel gehört, aber das hier kam ihm neu vor. »Wie heißt das?« fragte er das Soundpanel, und eine leicht schartige Frauenstimme sagte: »The seahorse’s wedding march. 10 Minuten 43 Sekunden.« The seahorse’s wedding march! Was das für Seepferdchen gewesen sein mußten, die den Soundingenieuren von Apogäum durch den Kopf geschwommen waren. Über den Glocken kitzelte jetzt ein feines Knistern sein Ohr, als halte jemand eine sehr dünne Folie an seinen Kopf und zerdrücke sie in seiner Hand. Gleichzeitig begann ein Kind einen Text mehr zu rezitieren als zu singen, in französisch, und Björn verstand nur den ersten Satz: La mer est la mère, alles andere ging in seiner Unkenntnis des Französischen unter. Das nächste Stück nannte sich »Little red ball«, und Björn fiel in seine Kindheit zurück, als habe man diese Musik zu diesem Zweck komponiert. Und so ging es weiter: Space is a ship, Civil war veterans, When I was a virus, Les deux soeurs und so weiter, und so weiter. An einer Stelle mußte Björn sogar weinen, und das war ihm schon lange nicht mehr vorgekommen. Schon der Erstling von Apogäum hatte ihm gut gefallen, aber die Musik auf Sefira 9 war noch weit konventioneller gewesen als auf Tam Tam Society. Er besah sich das Cover des Cubes genauer, während Transmission ein zuerst ungeregeltes Chaos von weißem Rauschen und dem kreischenden Pfeifen altmodischer Modems entfesselte, das sich aber, je mehr das Stück fortschritt, wie von selbst regelte. Das holografische Logo von Transglobal Sounds sprang ihn an, als er es im richtigen Winkel ins Licht hielt: die dreidimensionale Nachbildung eines

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