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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Medusenhauptes mit heraushängender Zunge und nach allen Seiten vom Kopf wegzischenden Schlangen. Darunter war nichts weiter abgebildet als vier Männerportraits, einmal mit geöffneten, einmal mit geschlossenen Augen. In Wirklichkeit wußte niemand, wie die Mitglieder von Apogäum aussahen, das war Teil ihres sorgsam gehüteten Mythos, seit sich Sefira 9 runde dreizehn Millionen Mal verkauft hatte. In dem einzigen Interview, das Björn bekannt geworden war und zu dem die Musiker mit Skimasken über dem Kopf erschienen waren, hatten sie reihum etwas von »musikalisch-philosophischem Holismus« und »psychischer Musik« erzählt, eine der vermummten Gestalten hatte zu wissen gegeben, daß sie mit ihrer Musik vor allem »die Melancholie der ausgestorbenen Gattung« auszudrücken versuche, worauf die anderen vor Lachen beinahe von den Stühlen gefallen waren. Das übliche Promotiongefasel von Newcomerbands. Aber das hier war anders. Er legte das Cover zur Seite und spielte mit seinem rechten Zeigefinger ein wenig in der flachen Einkerbung, in der der Cube gelegen hatte. Transmission war nun beinahe zu Ende, und das chaotische Gekreische hatte sich zu einem gläsernen Akkord von Obertönen geläutert, der zwischen Björns Ohren hin und her zu wandern schien, durch sein Gehirn hindurch. O ja, er würde diese Musik loben, aus vollem Herzen, obwohl er sich sehr gut vorstellen konnte, wie sich ein verwirrter Jugendlicher beim Hören des Cubes seinen Bademantelgürtel als Schlinge um den Hals legte und sich dabei auch noch tense vorkam. Ideale Selbstmordmusik. Kein Laut mehr.
    »Soll ich irgendein Stück wiederholen?« fragte ihn sein Soundpanel.
    Björn schrak auf und nahm sich zum x-ten Mal vor, ein anderes Stimmuster für die Sprachausgabe einzugeben, dieses klang wie Solveig, wenn sie traurig gewesen war.
    »Nein, nein«, sagte er vage in den Raum hinein, »danke, das genügt.«
    Der silbrig glänzende Cube erschien auf der ausfahrenden Frontlade des Soundpanels und sah darauf aus wie ein Stück Zucker auf einer Chamäleonzunge. Björn nahm ihn weg und steckte ihn wieder in die Einkerbung der Hülle. Er klappte das Album zu und tippte sich damit leicht gegen die Brust. »Tense« war das In-Wort der Saison, alles was gut war, mußte seit einiger Zeit tense sein, und er wußte, wie seine Kritik anfangen würde: Apogäum’s tensational new album.
     
    Bessie ließ die Pferde laufen, und während über ihrem Kopf die Turbinen sangen, sang in ihren Ohren Brian Corner von Tarantism Revisited sein schräges Winsellied, irgend etwas über das Weltall. Aber das wollte Bessie gar nicht so genau wissen, ihr ging der metallische Beat des Songs ins Blut, der klang, als würde man mit einem Vorschlaghammer auf die verschlossene Stahlluke eines Luftschutzbunkers schlagen. Sie nickte ein wenig mit dem Kopf oder versuchte es zumindest, aber das G-Netz hinderte sie daran, mit der Musik mitzugehen, wie sie das wollte, und deswegen nannte sie erst den Zaren, dann den Chef von COPROPETROL und dann Konstantij, ihren Geschwaderkommandanten, eine schwanzlutschende Schwuchtel. Bessie war sowieso schlecht gelaunt, denn sie hatte heute morgen erfahren, daß der Lohn für die letzten zwei Monate auch in den nächsten zwei Monaten nicht eintreffen würde, weil die barocke Verwaltung von COPROPETROL, die ganz und gar ein Staatsbetrieb war, leider schon alles zur Anschaffung von goldenen Nagelfeilen für die Bürochefs und -chefinnen, ihre Stellvertreter und Stellvertreterinnen, deren Sekretäre und Sekretärinnen und deren Familienangehörige verbraucht hatte; leider nichts zu machen, hatte es geheißen, aber selbstverständlich können Sie kündigen und woanders …: und an diesem Punkt hatte Bessie auf dem Absatz ihres rechten Stiefels kehrtgemacht und die Tür des Personalbüros so in die Füllung hineingehauen, daß sie zersprungen wäre, wäre sie aus Glas gewesen: aber leider war sie nur aus C-Flex, das aussah, als habe man mit C-Flex Holzfurnier imitieren wollen. Dann war sie noch einmal in den Raum zurückgegangen und hatte den Bürovorsteher eine schwanzlutschende Schwuchtel genannt, um dann die Tür noch einmal zuzuschlagen.
    »Hallo, meine kleine Urwaldprinzessin, wie geht’s denn immer so? Stell mal deinen Apokalypsensound leiser, es gibt Arbeit für dich!«
    Bessies schlechte Laune ging in freien Fall über; die Prozession der Arschlöcher, die an ihr an diesem Tag vorbeidefilierte, wollte scheinbar nicht enden.
    »Alexeij, du

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