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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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verkommene Mißgeburt einer strahlenkranken Kuh, wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du mich nicht ›Urwaldprinzessin‹ nennen sollst. Wenn du das noch einmal machst, trete ich dir höchstpersönlich in deine weichen Eier.«
    Sie haßte es, wenn jemand Anspielungen auf ihre Hautfarbe machte, und besonders haßte sie, wenn sich ein Schwachkopf wie Alexeij solche Freiheiten herausnahm.
    »Ich liebe es, wenn du mich beschimpfst, meine kleine Urwaldprinzessin, und ein Tritt von dir in meine Eier stelle ich mir wie das Paradies auf Erden vor. Laß uns zur Sache kommen. Schlechte Nachrichten aus dem Orbit. C-15 hat schon wieder Bettnässen, von oben sieht’s aus, als war sie völlig zerbröselt, und es muß schon ein Haufen Scheiße ausgelaufen sein, der See wird rasend schnell größer. Du bist am nächsten, meine kleine Nigerperle.«
    Ich werde ihm in die Eier treten, dachte sich Bessie, ich werde ihm heute abend in seine Eier treten, aber vorher ziehe ich mir meine Sicherheitsschuhe an, die mit den Stahlkappen, und dann frag ich ihn danach, wie es im Paradies aussieht. Ich muß bescheuert sein. Ich kriege kein Geld für meine Arbeit, friere mir in diesem Land hier den Arsch ab und muß mir von so einem Lutscher, der dumm ist wie ein Stück altes Brot, tagtäglich diese rassistischen Beleidigungen gefallen lassen.
    »Okay, mein lieber Iwan«, sagte sie laut in ihrem schlechten Russisch, »dann schieb mal die Koordinaten rüber.«
    Auf dem Sichtschirm vor ihren Augen flammten die Daten auf, neben Thumbnails von den Aufnahmen, die der Satellit aus dem Orbit gemacht hatte. Sie erschrak: der Ölsee bei der gebrochenen Pipeline wurde tatsächlich rasend schnell größer, so etwas hatte auch sie in den drei Jahren, die sie bei COPROPETROL arbeitete, noch nie gesehen.
    »Also dann ab die Post. Und übrigens: nenn mich nicht Iwan, sonst schick ich dich eigenhändig wieder zurück in den Busch. Over and out.«
    Es knackte in der Leitung, und Alexeij war aus ihrem Kopf verschwunden, aber Bessie wollte noch ein wenig streiten.
    »Alexeij.«
    »Ja, meine kleine Sklavenbraut?«
    »Alexeij«, sagte sie mit ihrer weichsten und weiblichsten Stimme, »du möchtest doch so gern von mir geblasen werden. Aber dazu wird es nie kommen, und zwar aus folgendem Grund: du bist mir einfach zu dumm. Schönen Tag noch.«
    Und sie legte die Verbindung für den Moment völlig lahm, was mindestens genauso verboten war wie Musikhören; aber COPROPETROL würde sie nicht feuern, selbst wenn sie dieses Gespräch der ganzen Länge nach aufgezeichnet hatten. Bessie war nach Sonnenfeldeinsätzen in drei Kontinenten persona non grata, und in Oakland schuldete sie einer bestimmten Person so viel Geld, daß eine Rückkehr dorthin für dieses Leben undenkbar war, aber sie war eine gute Pilotin und das obendrein fast zum Nulltarif. Hoffentlich ärgerte sich Alexeij jetzt sehr, das würde seinem Zwölffingerdarmgeschwür gar nicht gut bekommen. Sie ging auf Vollast und schaltete die Strahlturbinen zu, die Beschleunigung zerrte an dem G-Netz, das Singen der Turbinen war jetzt sogar durch den Helm zu hören, und die Anzeigeskalen vor ihren Augen kletterten in Stufen nach oben. Das leichte Schüttern, als sie die Schallmauer durchbrach, merkte sie nicht. Nach einer halben Stunde war sie am Zielgebiet angelangt, abrupt war die weißbeschneite Schneedecke in tiefes Schwarz übergegangen, und das sah wirklich häßlich aus; die eintönige weite Tundra hatte zwar nicht viel Abwechslung geboten, aber dieser schwarze, unbewegte See, der die Strahlen der untergehenden Sonne blendend hell reflektierte, sah so dermaßen unnatürlich und surreal aus, daß man sofort Sehnsucht nach dem Bild von der eintönigen puderbezuckerten Weite bekam, das dieses Land hier normalerweise bot. Und der Ölsee war groß, tatsächlich war er der größte, den Bessie je gesehen hatte. Einer der Gründe dafür, warum die überalterten Pipelines so leicht brachen, war der Überdruck, mit dem sie ständig betrieben wurden, und der Grund dafür wiederum war, daß Rußland immer noch versuchte, von den Sonnenenergieströmen aus dem Süden unabhängig zu werden. Zar Alexeij IV hatte vor fünf Jahren ein nationales Programm zur »Autarkisierung der russischen Wirtschaft« ausgerufen, und der Zustand der sibirischen Pipelines war ihm dabei relativ egal gewesen. Die veraltete Ölökonomie blieb sakrosankter Kernbestandteil der russischen Wirtschaftspolitik, kein Wunder in einem Land, in dem man

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