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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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worden, und man sammelte die strahlenden Überreste aus drei Dutzend Ländern ein, wenn nötig vor Ort, gegen Aufpreis. Sicher, es hatte Protest gegeben, aber der Staat hatte sich durchgesetzt, auch um den Preis von einigen Dutzend toten Demonstranten. Zehn Jahre später war die SIMPEX die Macht im Staat; was sie nicht wollte, kam in der Schweiz nicht vor, und was ihr gefiel, fand allgemein Anerkennung. Die Werke von Friedrich Dürrenmatt waren nicht geradezu verboten, sie wurden nur nicht gedruckt. Max Frisch war den Schweizer Jugendlichen ein Unbekannter, hingegen tanzten sie zu Apogäum und Tarantism Revisited, zwar galt auch das als unschweizerisch, aber es wurde wenigstens geduldet. Die Selbstmordrate war hoch, die Arbeitslosenrate war niedrig, und obwohl den meisten Schweizern so viel Atommüll unter ihrem Hintern nicht besonders lieb war, wollten sie doch mit den Deutschen, den Italienern oder den Franzosen nicht tauschen, so sagten jedenfalls die Medien. - Hermann schwitzte bei der Kontrolle der P-Hallen, »P« wie Plutonium. Das war, wie er herausgefunden hatte, eine seiner ganz persönlichen Besonderheiten; den meisten Kollegen, mit denen er gesprochen hatte, waren die P-Hallen so wurscht wie der ganze Rest, nur er, Hermann, hatte sich in vier Jahren nie ganz an diese doppelmannshohen, schockfarben gelbblau gestreiften Hügel gewöhnen können, die sich in Vierergruppen in den P-Hallen erhoben.
    »Walterspiel an Basis Grün, Standort Halle P1, keine besonderen Vorkommnisse.«
    »Hier Basis Grün; verstanden, weitermachen Walterspiel.« Hermann hielt respektvoll die geforderten drei Meter Abstand ein und ließ die Meßsonde nur an ihrem Teleskoparm an die »Sarkophage« heranreichen. Alle Versuche der SIMPEX, ihren Begriff für diese Behälter, nämlich »Kontinatoren«, durchzusetzen, waren am Volksmund gescheitert, denn jeder normale Mensch dachte bei diesen Dingern an kurz über der Basis geköpfte Pyramiden, und deswegen hießen sie »Sarkophage«, basta. Hermann lief einmal um die Sarkophage herum, wie das seine Pflicht war, seine Beine schmerzten mittlerweile von dem vielen Laufen. Theorie und Praxis der Lagerung so großer Mengen Plutonium hatten erst von der SIMPEX entwickelt werden müssen, dabei hatte es einige Überraschungen gegeben, zum Beispiel die, daß es ab einer gewissen Strahlungsdichte, die längst unterhalb der lag, die zu einer Kettenreaktion geführt hätte, zu typischen Fluktuationen der Strahlung kam, daraufhin war eine erneuerte Theorie von der Radioaktivität nötig geworden. Hermann konnte die Schwankungen der Strahlungsintensität mit seiner Sonde messen, und manchmal bildete er sich sogar ein, er könne sie fühlen. Das hatte er einmal dem Arzt erzählt, und der Arzt hatte ihm daraufhin eine Klinikpackung Provalan verschrieben, das er nicht genommen hatte. Endlich lag P8 hinter ihm, und er teilte dies Basis grün mit. So eng und trist sein Unterstand auch sein mochte, nach einer Nachtschicht im Tunnel kam er ihm jedesmal wie das Paradies auf Erden vor, und er ließ bei seinem Luftkissenscooter die Pferde laufen. Er zog die Chipkarte durch das Tastfeld, die meterdicke Tür glitt schier lautlos zur Seite. Teststab und Scooter waren sicher in der Kammer unterhalb des scheinbar an der Decke schwebenden Unterstands verstaut, die Arbeit war getan, und Hermann wollte gerade mit dem Ablegen seines Druckanzuges beginnen, da erschrak er zu Tode. Hinter dem Kontrollpult saß jemand, auf seinem Stuhl, gekleidet in einen Druckanzug wie er; dieser Jemand hatte die Beine übereinandergelegt (was ohne Übung mit diesen Anzügen nicht ganz einfach war) und wippte ein bißchen mit seinem rechten Fuß. Die Gestalt sah ihn durch die Sichtscheibe des Helms hindurch an; soweit Hermann das feststellen konnte, lächelte sie dabei. Er war immer noch wie erstarrt, kramte aber die Fetzen der deutschen Sprache in seinem Gehirn zusammen, die dort beziehungslos umherwirbelten, und fragte:
    »Wer … wer sind Sie?«
    Der Mann lachte.
    »Siehst du Hermann, diese Frage habe ich fast erwartet. Du wirst es nicht glauben: ich bin der Weihnachtsmann.« Er streckte die Hand aus und zeigte auf einen Punkt links von Hermann: »Und mein Freund hier, das ist auch der Weihnachtsmann.«
    Hermann drehte seinen Kopf und sah eine fast identische Gestalt links neben sich stehen, die ihm bis dahin noch gar nicht aufgefallen war. Der zweite Weihnachtsmann sagte: »Genau!« und plazierte sich dann mit erstaunlich flüssigen

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