Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
Vom Netzwerk:
antiken Griechenland schlossen sich an, die keinerlei Zusammenhang mit dem Vorhergegangenen hatten. Michelle wurde von dem traurigen Gefühl gepackt, das sie von den Gelegenheiten kannte, bei denen Webster ihr aus seinen Werken vorgelesen hatte: nach einer halben Stunde Zuhörens war sie sich innerlich vorgekommen wie ein Scherbenhaufen, und manchmal war sie einfach hinausgegangen, um eine Zigarette zu rauchen, und drinnen hatte Webster weiter vorgelesen, als hätte er gar nicht gemerkt, daß sie nicht mehr da war. Was hatte er nur mit all dem Zeug gewollt? Sie schob das Blatt mit den anderen zurück in den Umschlag. Eines Tages werde ich das in den Ofen stecken, nahm sie sich vor, aber das hatte sie sich schon öfter vorgenommen, und deswegen glaubte sie es selbst nicht.
     
    Hermann flog auf seinem Scooter durch die Hallen und Gänge als wäre das ein Spaß, und tatsächlich war das für ihn jeweils der schönste Teil seiner nächtlichen Kontrollgänge: einfach über die gelben Fässer und Behälter hinwegfliegen, als wären sie nicht da. Aber den beschwerlicheren Teil der Nachtschicht hatte er noch vor sich. Es graute ihm davor, wie jedesmal. Er stellte den Scooter am Eingang zu Halle A ab und verbat sich jeden Gedanken an all die anderen Hallen, die sich an diese hier in einer makellosen und geraden Kette anschlossen, weil er wußte, daß ihn das am meisten deprimierte. Sein schwerer Strahlenschutzanzug machte ihm zu schaffen; wie immer zu Beginn der Nachtschicht. Eigentlich fühlte er sich darin sogar richtig klaustrophob, aber darüber sprach er nie mit dem Arzt der Wachmannschaften. Warum hätte er das tun sollen? Er hatte sich vor mehreren Jahren auf diesen Job hier eingelassen, er hatte gute Gründe dafür gehabt, und es gab keine andere Wahl. Von der Decke regnete das gelbliche Licht, ein Licht, wie geschaffen, um Leuten wie ihm die Arbeit schwerzumachen. Die Gewerkschaft kämpfte seit Jahren um eine andere Beleuchtung, hatte schon mindestens ein dutzend Mal darauf hingewiesen, daß dieses altmodische Neon sowohl auf die Augen, als auch auf die Psyche eine verheerende Wirkung hatte, wenn man ihm auf Dauer ausgesetzt war, aber die SIMPEX ließ sich zu diesem Thema nicht einmal auf ernsthafte Verhandlungen ein, und wenn die SIMPEX hustete, bekam man im Berner Bundeshaus einen Schnupfen, das wußte jedes Kind. Andererseits, was machte dieses Licht im großen und ganzen schon aus, wenn man erst die sonstige Strahlung hier unten bedachte? Trotzdem, das Licht selbst reichte ihm schon aus, um sich unwohl zu fühlen und sich in seinen von meterdicken Bleiabschirmungen geschützten Zentralunterstand zurückzuwünschen. Der war aber drei Kilometer weit entfernt. Hermann seufzte und hörte sich selbst dabei zu. Die Sichtscheibe seines Helms beschlug. Der Plan für die Kontrolle der Einlagerungshallen sah eigentlich vor, daß ein Wachmann die in Schachbrettmuster aufgestellten Behälter einmal von jeder Seite passierte, um so schnellstmöglich den Ort eines möglichen Lecks feststellen zu können. Das wäre nur möglich gewesen, wenn man das Schachbrett einmal an allen Seiten jedes Feldes entlang abgeschritten hätte, und das hätte von Halle A1 bis P8 am anderen Ende des Stollens relativ genau eine Nachtschicht von zweihundert Stunden bedeutet, vorausgesetzt, man konnte sich zweihundert Stunden lang im Dauerlauf wachhalten und dabei den Kontrollstab immer fein in die Höhe halten. Auch das hatte die Gewerkschaft der SIMPEX schon mindestens ein Dutzend Mal mitgeteilt, und war damit genauso erfolgreich gewesen wie mit den Klagen wegen des Lichts. Also sah Plan B für die Kontrolle der Hallen so aus, daß sich der Wachhabende genau in der Hallenmitte aufstellte und einmal kurz die Werte überprüfte, die ihm in die Sichtscheibe seines Schutzhelmes eingeblendet wurden. Hermann stand in der Mitte von Halle A1, umgeben von 577 in Neunergruppen schachbrettförmig angeordneten gelben Fässern, die alle ein schwarzes Kleeblatt auf der Deckelseite trugen, und hielt einen schwarzen Stab in die Luft.
    »Walterspiel an Basis Grün. Standort Halle A1, kein Befund, keine besonderen Vorkommnisse.«
    Basis grün blieb stumm, und Hermann versuchte es noch einmal.
    »Walterspiel an …«
    »Hier Basis Grün, in Ordnung, weitermachen.«
    Hermann kannte die Stimme nicht, aber das war nichts weiter Ungewöhnliches; Basis grün, zweieinhalb Kilometer Granit oberhalb von ihm, war eine Einrichtung der Armee, es gab dort oben eine hohe

Weitere Kostenlose Bücher