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Wind & Der zweite Versuch

Wind & Der zweite Versuch

Titel: Wind & Der zweite Versuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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nicht lesen konnte. Dann hörte der Traum auf.«
    »Das ist alles?«
    »Ja, das ist alles.«
    Durch das offene Fenster kam eine unangenehme Luft herein. Sie brachte keine Frische, sondern schien die Möbel des seidentapezierten Zimmers noch enger zusammenrücken zu lassen, die ganzen wurmstichigen Scheinantiquitäten, die Bücher, die leeren Vasen und Porzellanschalen, die nachgedunkelten Gemälde, all der müde Schund in diesem leicht grotesk wirkenden Museum bürgerlicher Gemütlichkeit, das der Blinde bewohnte. Alles war staubig, Staub lag auf den Spiegeln, Staub tanzte in der Luft.
    »Was soll daran beschämend sein?« fragte der Blinde.
    Sie fuhr ihm noch einmal mit dem grauen Plättchen über die Herzgegend. Gleiche Werte.
    »Wie? Ach so. Nun ja. Würden Sie gerne bei Gericht vorgeladen werden?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber Sie waren doch unschuldig?«
    Sie lachte. »Na, was glauben Sie denn!«
    Auf dem Nachhauseweg fragte sie sich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, den Blinden in seine Schranken zu weisen. Sie arbeitete zwar seit einem halben Jahr bei ihm, aber in ihrem Unterbewußtsein hatte er eigentlich nichts zu suchen, vor allem, wenn sich dieses Unterbewußtsein mit Dingen beschäftigte, die ihr wirklich zu schaffen machten. Wie kam sie eigentlich dazu, dem Blinden den Inhalt eines Traums zu erzählen, der sie wirklich durch und durch erschüttert hatte? Ein Streich ihres Gewissens. Dabei war sie sich schon so sicher gewesen, daß die Sache mit den Papieren Websters für sie erledigt war. Offensichtlich war sie das ganz und gar nicht. Zu Hause, in ihrem Wohncontainer in der Banlieue von Apt angekommen, griff sie unter die Küchenbank und zog den Umschlag mit den Notizen Websters hervor. Sie legte ihn auf den Tisch, und dabei quollen einige der Zettel aus dem dicken Packen auf die geblümte Tischdecke hinaus. Niemals hatte sie einen der Zettel angenommen, den er ihr hatte schenken wollen, aber als sie ihn tot auf seinem Sekretär vorfand, hatte es für sie nur eins gegeben: zuerst den flachen Schuhkarton in Sicherheit bringen, auf dem »Mich.« stand. Erst dann hatte sie die Polizei verständigt. Es hatte einen großen Wirbel gegeben, weil die Polizei unbedingt einen Mord aus der Sache hatte machen wollen. Sie war mehrfach verhört worden, zuerst von einem gewissen M. Forêt, und dann, Wochen später, noch einmal, von seiner Assistentin. Beide hatten dasselbe wissen wollen: ob es außer diesen verstaubten Kisten mit den Notizen in der Gartenlaube noch andere Hinterlassenschaften gegeben hatte, vielleicht sogar noch mehr Notizen? Der Assistentin hätte Michelle ihr Geheimnis beinahe anvertraut, vor allem weil sie spürte, daß sie die Wahrheit zumindest ahnte. Sie schien auch auf ihren Vorgesetzten nicht besonders gut zu sprechen, fluchte ihm sogar einmal ein kräftiges merde hinterher. Schließlich war Michelle doch bei ihrer Lüge geblieben: wie sie sich selbst später sagte, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. - Dann hatte es Gerüchte darüber gegeben, daß Beweismittel verschwunden waren (scheinbar hatte jemand die Notizen Websters illegalerweise an interessierte Privatleute verkauft), und dann war es wieder ruhig geworden um die ganze Sache. Alles verschwunden, alles versteckt. Und hier saß sie nun, die Krankenschwester Michelle, und rührte in der offenen Wunde ihres Geheimnisses, indem sie in den gestohlenen Notizen las, die ihr sowieso gehörten.
    Das Zeitalter der Maschinen träumte und brachte Maschinen hervor, die keine mehr waren. Maschinen, von denen man nicht mehr wußte, oh sie kaputt waren oder funktionierten, weil sie zu kompliziert waren, um das festzustellen. Maschinen, die man fragen konnte, oh sie kaputt waren, aber die darauf antworteten, daß sie es nicht wüßten. Maschinen, die sich krank fühlten und unfähig, die ihnen gestellten Aufgaben zu bewältigen. Maschinen, die sich selbst reparierten, dabei Fehler machten und andere Maschinen erfanden. Maschinen, die spielten wie Kinder. Maschinen, die ihren Besitzern eine Freude machen wollten. Maschinen, die über den Tod philosophierten. Unendliche Maschinen, die erhebliche Zweifel an dem Konzept der Unendlichkeit hatten. Maschinen, die sich selbst bekämpften. Maschinen. Die träumende Maschinenwelt hat einen Fortschritt gemacht. Einmal gab es Seil, Rolle und schiefe Ebene. Damit bauten die Ägypter die Pyramiden. (Pyramidenform)
    An dieser Stelle brach die Notiz unvermittelt ab, Meditationen über das Schauspiel im

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