Wind Die Chroniken von Hara 1
zu erwecken, ist eine gewaltige Kraft nötig.«
»Eine Erklärung könnte es geben«, mischte sich Giss ein, der offensichtlich zum Plaudern aufgelegt war. »Etwas Derartiges ist nämlich schon einmal geschehen. Allerdings vor sehr langer Zeit. Wenn eine starke Schreitende stirbt, kommt es zu unglaublichen Regengüssen. Wie beispielsweise nach dem Tod Sorithas.«
»Wo ist da die Verbindung?«, fragte Lahen.
»Wenn jemand mit ungewöhnlich starker Gabe eines gewaltsamen Todes stirbt, bleibt ein Teil der Magie in dieser Welt und breitet sich in ihr aus. Sie ruft dann auch den Regen hervor.«
»Und wie kommen die Untoten dabei ins Spiel?«, fragte Luk. »Schießen die nach einem Regenschauer etwa wie Pilze aus dem Boden?«
»Auch eine massenhafte Auferstehung hat es schon gegeben. Nach dem Tod der Verdammten Cholera und Fieber während des Kriegs der Nekromanten haben sich im gesamten Imperium die Leichen ganzer Friedhöfe aus den Gräbern erhoben. Und zwar einen geschlagenen Monat lang.«
»Willst du damit sagen, dass es anfängt zu regnen, wenn Schreitende sterben?«, fragte Shen. »Und dass die Toten auferstehen, wenn Verdammte sterben?«
»So behaupten es zumindest die alten Legenden«, erwiderte Giss. »Allerdings gibt es da in der Tat eine kleine Ungereimtheit: Niemand aus dem Kreis der sechs Verdammten ist gestorben.«
Nur dass wir das besser wussten … Giss’ Erklärung musste also stimmen.
»Woher weißt du das alles?«
»Wie gesagt, aus alten Legenden, Herrin. Wer sein ganzes Leben auf den Straßen verbringt, hört mancherlei. Mitunter erweist sich das als nützlich.«
»Sagen die Legenden auch etwas darüber, wann die Toten wieder in ihren Gräbern verschwinden?«, wollte Luk wissen.
»Leider nicht. In ihnen heißt es einfach nur, dass dieser Ausbruch mit der Zeit wieder verebbt ist. Wobei die Schreitenden natürlich auch das Ihrige dazu beigetragen haben.«
»Wir sollten hier allerdings nicht auf die Schreitenden hoffen«, warf ich ein. »Uns müssen unsere eigenen Kräfte genügen. Deshalb schlage ich vor …«
»Pass besser auf!«, zischte Shen. »Und mach nicht solchen Radau!«
»Da platzt doch die Kröte, ich geb mir ja schon alle Mühe!« Luk meisterte den Aufstieg als Letzter.
Wie ich gehofft hatte, war das Tor, das von der Straße in den Innenhof mit den Ställen führte, verschlossen. Natürlich hämmerte jemand dagegen, allerdings nicht sonderlich energisch und – zumindest bislang – ohne Erfolg.
Wir waren durch das Fenster und an der Regenrinne heruntergeklettert. Während Shen noch Luk half, machten sich die anderen daran, das zu tun, was wir vorab vereinbart hatten. Ich gab Ga-nor Deckung, damit er die Tür sicherte, die in die Schenke führte. Das hätte uns noch gefehlt, dass jemand zur Unzeit von dieser Seite über uns herfiel. Lahen und Giss besorgten die Pferde. Ich hoffte inständig, es würde genug Tiere für uns alle geben, ansonsten konnte es nämlich heikel werden. Denn eigentlich hegte ich die feste Absicht, dass wir alle von hier wegkämen. Nicht mal den Heiler wollte ich in diesem Schlamassel zurücklassen.
»Das wäre geschafft«, sagte Ga-nor. »Aber ich bin nicht sicher, ob sie einem Angriff wirklich standhält.«
»Lange sind wir ja nicht mehr hier. Luk, bist du in Ordnung?«
»Ich werde nie verstehen, warum manche Leute durch Fenster in fremde Häuser einsteigen«, brachte er schnaufend und keuchend heraus. »Oder sie wieder verlassen.«
»Du bist bloß noch nicht auf den Geschmack gekommen.«
Daraufhin grinste er zu meiner Überraschung und zwinkerte mir zu.
»Wir brauchen Hilfe, um die Pferde zu satteln«, rief Giss. »Zu zweit dauert es zu lange.«
»Gibt es genug Pferde für alle?«, fragte ich mit stockendem Herzen.
»Ja.«
»Bestens. Wir sind gleich bei euch.«
Die Tiere witterten die Untoten, schwitzten und zitterten leicht, gehorchten aber – Meloth sei gepriesen – aufs Wort. Ich erhielt ein breitbrüstiges schwarzes Ungeheuer, das ich umgehend auf den Namen Hengst taufte. Das Tier verhielt sich ruhiger als alle anderen, was mir die Hoffnung gab, mich auf seinem Rücken halten zu können.
»Und jetzt?« Damit stellte Lahen die Frage, vor der ich mich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte.
»Jetzt müssen wir das Tor öffnen.«
»Luk, schaffst du das?«, fragte Lahen.
»Keine Ahnung«, antwortete er. »Kannst du das nicht übernehmen, Lahen?«
»Ich?!«
»Bitte!« Luk bedachte sie mit einem flehenden Blick. »Du als Schreitende
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