Wind Die Chroniken von Hara 1
Parallelstraße schossen, von einigen Dutzend Untoten verfolgt, drei Reiter heraus. Sie sahen sich nicht um, bemerkten uns also nicht, sondern hielten schnurstracks auf das Tor zu. In wenigen Sekunden hatten sie den Platz überquert und die Stadt verlassen. Sofort bemächtigte sich meiner ein ungewöhnliches Gefühl der Schwerelosigkeit. Lahen war dieser Todesfalle entkommen. Die Horde von Untoten machte keine Anstalten, die Jagd aufzunehmen – die nahmen sich lieber uns vor.
»Verflucht!« Giss zog die Zügel fest an und brachte das Pferd damit auf die Hinterbeine. »Da kommen wir nicht durch!«
Er hatte recht. Die Untoten versperrten das Tor. Selbst in vollem Galopp würden wir nicht durch sie hindurchpflügen. Irgendwann würden die Pferde stolpern – und das hieße den sicheren Tod.
»Gibt es noch einen anderen Weg raus aus der Stadt?«, fragte Shen, der genauso schwer atmete wie sein Pferd.
»Ja«, sagte Giss. »Mir nach.«
Und abermals stoben wir durch die Gassen, um diesen Kreaturen zu entkommen, bei denen einem das Wort Mensch einfach nicht über die Lippen wollte. Nach einer Weile merkte ich, dass ich keine Angst mehr vor ihnen hatte. Aber so ist es ja immer, wenn das Schreckliche überhandnimmt. Dann verbrennt die Angst sich selbst. Dann spürst du nur noch dumpfe Müdigkeit – selbst wenn das angesichts der Horden von Untoten sonderbar klingen mag.
Wir gelangten zu einem weiteren Platz. Auf ihm wurde der Markt abgehalten.
Giss hielt sein Pferd an und sah sich um.
»Wohin jetzt?«, fragte ich.
»Ruhe, ich muss nachdenken.«
Inzwischen tagte es bereits. Zwischen den leeren Marktständen schimmerten silberne feine Nebelfäden. Die Pferde schnaubten und traten von einem Bein aufs andere.
»Hier ist ein Fluss in der Nähe«, flüsterte Shen.
»Und ein Friedhof«, spie Giss aus. »Wir sind nicht an der Stelle herausgekommen, zu der ich wollte.«
»Keine Sorge, alle Friedhofsbewohner vergnügen sich zurzeit in der Stadt. Und dem Fluss zu folgen ist eine reale Chance, diesem Kessel zu entkommen.«
»Dann sollten wir zusehen, dass wir kein Bad nehmen«, erwiderte Giss und wendete sein Pferd. »In der Nähe führt ein Weg in die Felder. Mir nach!«
Das wäre die Gelegenheit gewesen, mich abzusetzen. Aber ich nutzte sie nicht, denn Giss wusste offenbar, was er tat. Außerdem standen unsere Überlebenschancen zu dritt besser.
Giss ritt voran, dann folgten ich und Shen. Ab und zu stellten sich uns noch ein paar Untote in den Weg, doch jedes Mal halfen die Stärke meines Pferdes und Shens Schwert. Das Schicksal war mir hold, ich stürzte nicht, niemand zog mich vom Pferd oder griff auch nur nach mir. Keine Ahnung, wem Hengst früher gehört hatte, aber er war wirklich ein gutes Tier. Falls ich das hier überleben sollte, würde ich mich nicht lumpen lassen und ihm einen ganzen Sack Hafer spendieren.
Irgendwann fiel mir etwas auf, das mich beunruhigte. Das Geräusch von Hufen hinter mir war nicht mehr zu hören. Erschaudernd drehte ich mich um – und sah niemanden außer drei Untoten, die sich ziemlich weit hinter uns befanden.
Shen war weg. Entweder hatte er einen Abzweig verpasst oder er war aus dem Sattel geholt worden. Jedenfalls war er nicht mehr da.
»Giss!«, schrie ich. »Wir haben Shen verloren!«
Giss bedeutete mir lediglich mit einem Nicken, dass er mich gehört habe, hielt aber nicht an, denn es war aussichtslos, Shen in den Straßen voller Untoter zu suchen. Wir würden ihn nicht finden – sondern selbst dabei draufgehen. Entweder er schaffte es aus eigener Kraft oder er würde sterben.
Obwohl dieser Milchbart einen miesen Charakter hatte, tat er mir jetzt leid. Lahen und mir hatte er immerhin zweimal das Leben gerettet, weshalb ich ihm inständig wünschte, er möge diese Nacht überstehen.
Kurz darauf erreichten wir den Weg, der in die Felder führte. Ich hatte mich also nicht in Giss getäuscht. Er hatte mich wirklich heil und unversehrt aus diesem Kessel herausgeführt. Irgendwann zügelten wir die Tiere, stellten uns in den Steigbügeln auf und blickten auf die Dabber Glatze zurück, die in Morgennebel gehüllt dalag. Wenn die Feuer nicht gewesen wären, hätte nichts von der Tragödie gezeugt, die sich in dieser Stadt abgespielt hatte.
»Machen wir lieber, dass wir weiterkommen«, sagte Giss, dessen Gesicht vor Schweiß glänzte.
»Können wir die Stadt umrunden und auf die Straße nach Alsgara stoßen?«
»Ich halte das für keine sonderlich kluge Idee«, erwiderte Giss.
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