Wind Die Chroniken von Hara 1
bleiben und die Gabe des Sprechens einzubüßen.
»Steh da nicht rum!«, fuhr ihn Ga-nor an. »Bring die Frau in ihr Zimmer! Und du hilf ihm!«
Die letzten Worte galten Shen.
»Luk schafft das schon«, entgegnete unser Medikus. »Ich muss mich um die Verwundeten kümmern.«
»Und was machen wir?«, brummte ich. Es schmeckte mir nicht, Lahen allein zu lassen.
»Wir sehen uns mal draußen um. Vielleicht können wir feststellen, woher dieser Fisch kam.« Ga-nor reichte mir den Bogen. »Aber sei auf alles gefasst!«
»Das bin ich immer«, erwiderte ich und wandte mich dann an Lahen: »Wir sind gleich wieder da.«
Daraufhin stiegen wir über die Leichen und umrundeten die Verletzten, denen die Überlebenden bereits halfen. Obwohl es längst dunkel war, hatte niemand die Fackeln angezündet. Es ist doch immer dasselbe in diesen kleinen Städten: Keiner will etwas für solchen Unsinn wie Beleuchtung berappen. Dabei könnten sich in dieser Finsternis die sechs Verdammten verstecken – die du dann erst siehst, wenn es zu spät ist.
»Was war das?«, wollte ich von Ga-nor wissen, der gerade in der Luft schnupperte.
»Ein Fisch.«
»Allerdings habe ich an dem Kerl weder Flossen noch einen Schwanz entdeckt.«
»Wir wissen nicht, wie diese Kreaturen eigentlich heißen. Deshalb nennen wir in der Burg sie Fische. Es sind Ausgeburten der Sdisser Magie. Untote. Sie begeben sich zu den Lebenden, explodieren und – batz – schon gibt es einen Haufen Leichen.«
»Und das läuft immer so ab?«
»Ja. Sie haben Tausende von Stahlschuppen. Jede einzelne von ihnen geht durch Fleisch und Knochen wie durch Butter. Wenn diese Geschöpfe platzen, fliegen die Schuppen nach allen Seiten auseinander. Wenn du dich nicht vorher in Deckung bringst, ist das dein Ende.«
»He, Freundchen!«, sprach ich einen aschfahlen Jungen an, der am Eingang der Schenke stand und entsetzt auf all das Blut und die Leichen starrte. »Kennst du den, der gerade geplatzt ist?«
Er wusste sofort, wen ich meinte. »Das war Shkan«, presste er heraus. »Der hiesige Saufkopf. Er ist vor drei Tagen gestorben«, sagte er und fing an zu weinen. »Gestern war die Beerdigung.«
Vielen Dank auch, Luk! Warum musstest du bloß so unken?!
»Geh nach Hause!«, forderte ich den Jungen auf. »Hier hast du nichts verloren.«
Er rannte so, dass seine Hacken förmlich Funken sprühten.
»Vielleicht war er nicht allein.« Ga-nor spähte angestrengt in die Finsternis.
»Ich werde seine Kumpane jedenfalls nicht suchen«, sagte ich.
»Darum hat dich auch niemand gebeten.«
In diesem Augenblick erklangen jäh zwei gedämpfte Knalle.
»Nichts wie weg hier!«, verlangte ich. »Ich schnappe mir Lahen, und dann verlassen wir dieses Nest. Hier sind wir unseres Lebens nicht mehr sicher.«
Am anderen Ende der Straße loderten zwei grüne Feuer auf. Dann noch zwei. Und noch zwei. Schließlich immer mehr. Ein verängstigter Schrei durchschnitt die Stille, riss aber sogleich wieder ab.
»In die Schenke! Sofort!«, befahl Ga-nor. »Das sind Untote!«
Mit hämmerndem Herzen stürzte ich in die Schenke zurück. Abermals vernahm ich panische Schreie. Dann wurde Alarm geschlagen.
»Schließt die Tür!«, befahl Ga-nor.
»Was?! Seid Ihr verrückt geworden?!«, fragte der Wirt. »Wir haben gerade nach Medikussen geschickt.«
»Du Narr! Draußen wimmelt es von Leichen, die zum Leben erweckt wurden!«
»Red keinen Unsinn! Und lass die Tür auf! Sonst …«
Er brauchte den Satz nicht zu beenden, denn hinter ihm tauchten fünf breitschultrige, finstere Männer auf, die seinen Worten allein mit ihrer bloßen Existenz Gewicht verliehen.
»Nach oben!«, schrie ich. Jemanden zu retten, der gar nicht gerettet werden will, ist dumm. Denn so jemand geht unter – und reißt dich dabei noch mit ins Grab.
Ohne weiter auf die hiesigen Sturköpfe zu achten, stürzten wir zur Treppe. Ga-nor zog Shen mit sich, der gerade versuchte, die Blutung eines Verletzten zu stillen. Natürlich leistete auch der Herr Medikus Widerstand.
»Lass ihn!«, befahl ich. »Wir zwingen niemanden zu seinem Glück!«
Doch als Shen mein in Panik verzerrtes Gesicht sah, hörte er immerhin auf, den Narren zu spielen, und eilte uns nach. Wir hatten gerade die Treppe erreicht, da stürmte das erste dieser Monster, vom schweren Blutgeruch herbeigelockt, in die Schenke und verbiss sich im Hals eines Gasts. Ihm auf dem Fuße folgten sechs weitere Untote.
Selbst jetzt wollten die Leute den Verletzten noch helfen. Und ehe
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