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Wind Die Chroniken von Hara 1

Wind Die Chroniken von Hara 1

Titel: Wind Die Chroniken von Hara 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexey Pehov
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sollte und die Leute sich dort nur bei einer Hochzeit oder einem Begräbnis dem Shaf hingegeben hatten und dann auf die dumme Idee verfallen waren, die Glocken zu läuten – warum dieser Sache auf den Grund gehen? Giss musste den Verstand verloren haben …
    Die Stimme der Glocke und der Nebel verschmolzen zu einer albtraumhaften Geistererscheinung. Zum Glück besaß ich keine reiche Phantasie, andernfalls hätte mir die Szenerie noch stärker zugesetzt. Schließlich rechnete ich schon jetzt sekündlich damit, dass mich jemand anfiel.
    Da ich immer wieder auf breite Gräben und Bewässerungskanäle stieß, kam ich nicht besonders gut voran. Zweimal musste ich sogar umkehren, um eine nicht sehr tiefe, aber lange Schlucht zu umreiten. Während ich meine Haken schlug, kam von Süden her ein leichter Wind auf und vertrieb den Nebel. Die Sicht besserte sich.
    Bamm.
    Der Glockenschlag dröhnte derart, dass ich zusammenzuckte. Rechter Hand tauchte in dem abziehenden Nebel nun ein dunkler Fleck auf: das Dorf, dem ich mich weiter genähert hatte, als ich wollte.
    Bamm.
    Dieses verfluchte Gebimmel! Warum hörten die nicht endlich auf?! Das konnte denen doch unmöglich gefallen. Fluchend lenkte ich Hengst weg vom Dorf. Immer wieder blickte ich über die Schulter zurück, bis ich es irgendwann nicht mehr aushielt, absaß und den Bogen spannte. Damit fühlte ich mich sicherer. Gut, meine Waffe eignete sich nicht sonderlich für einen Schuss aus dem Sattel, dazu war sie zu wuchtig – aber irgendwie würde ich es schon schaffen.
    Kurz darauf blieb Hengst jäh stehen und wieherte unzufrieden. Ein hoher Zaun versperrte uns den Weg, dahinter erhoben sich irgendwelche Bauten.
    Bamm.
    Mist! Ich war im Kreis geritten und schon wieder im Dorf gelandet.
    Bamm.
    Offenbar blieb mir nichts anderes übrig, als den Weg durch Psarky zu nehmen.
    »Wie sieht’s aus, mein Freund, reiten wir durchs Dorf?«, fragte ich Hengst.
    Der legte keinen Widerspruch ein, sondern zuckte nur freundlich mit den Ohren.
    »Dann wäre das also entschieden«, murmelte ich und presste die Schenkel sanft gegen seine Flanken (meine Hände mussten schließlich den Bogen und die Zügel halten), um ihn erneut anzutreiben.
    Links und rechts zogen sich nun flache Bauernhäuser dahin. Die Türen waren verschlossen, die Fenster nicht eingeschmissen, nirgendwo entdeckte ich Spuren eines Gemetzels. Nicht mal die Beete waren zertrampelt. Allerdings war auch die Straße leer: keine Kinder, keine Hühner, keine Hunde oder Katzen. Alle waren wie vom Erdboden verschluckt. Und aus keinem Schornstein rauchte es.
    Einmal stand ein Tor sperrangelweit offen. Ich warf einen flüchtigen Blick auf eine alte, windschiefe Hütte, deren Tür aus den Angeln gehoben war, sodass der Eingang genauso dunkel aufklaffte wie der Schlund eines Dämons. Schnell ritt ich weiter.
    Nach einer Weile machte ich den Tempel Meloths aus, dessen hölzerne Spitze sich aber noch im weißen Nebel verlor.
    Bamm.
    In der Stille hallte der Glockenschlag besonders laut. Wie blasphemisch das klang! Als gröle jemand Sauflieder auf einem Friedhof. Ich sah mich um, entdeckte aber nichts Auffälliges. Schließlich lenkte ich Hengst zu einem Zaun und band ihn fest. Es reichte! Ich würde in Erfahrung bringen, wer da derart eifrig bimmelte. Schon allein deshalb, weil es mich entsetzlich in den Fingern juckte, diesen Glöckner vom Turm aus in die Tiefe zu stürzen – damit er sich gewaltig die Fresse aufschlug.
    Die Tür zum Glockenturm stand ebenfalls offen.
    Bamm.
    »Mach dich auf was gefasst, du Mistkerl!«, zischte ich, nahm den Bogen in die linke Hand, zog das Beil hinterm Gürtel hervor und stieg die schmale Wendeltreppe hoch. Die Bretter knarrten verräterisch unter meinen Füßen, und ich verfluchte das alte Gemäuer. Derjenige, der sich hier befand und die Glocken schlug, hatte mich bestimmt längst gehört.
    Den letzten Treppenabsatz brachte ich mit drei Sprüngen hinter mich – und wäre beinahe in den Glöckner geflogen. Genauer gesagt in seine Beine.
    Irgendein Witzbold hatte den Unglücklichen am Klöppel der kleinsten Glocke festgebunden. Die Leiche schaukelte sanft an der Schnur hin und her. Das erklärte das Gebimmel.
    Wunderbar! Wenn sogar im Tempel Glöckner aufgehängt wurden, dann waren hier wilde Banausen am Werk, die nichts fürchteten. Kerle, die dich erschlagen, ohne dich vorher auch nur nach deinem Namen zu fragen.
    Ich musste ziemlich hantieren, bevor es mir gelang, das Seil durchzuschneiden.

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