Wind Die Chroniken von Hara 1
verrecken.
Am vierten Tag ließ Thia den Wald hinter sich.
In den besiedelten Gegenden wollte sie sich einen neuen Körper suchen, um wieder mit ihrer Gabe in Verbindung treten zu können. Irgendwo würde es doch ein paar Tote geben!
Und sie fand auch welche. Sogar mehr als erwartet. Die Gegend wimmelte geradezu von Leichen, ja, ihr sprangen mitten auf der Straße vier lebende Tote entgegen. Trotz ihrer Verblüffung handelte sie umgehend. An Pork gekettet, brauchte sie zwar eine Weile, um den Zauber zu wirken, dann schlüpfte sie jedoch mühelos in den Körper einer Frau mit aufgeschlitzter Kehle. Sobald ihr die Gabe zur Verfügung stand, klatschte sie laut in die Hände, um den Zauber der Anrufung zu zerstören, der die anderen Leichen am Leben hielt. Prompt fielen die Untoten wie Holzklötze zu Boden.
»Ffteh auf!«, verlangte sie, wobei sie aufgrund der aufgeschlitzten Kehle kaum artikuliertere Laute herausbrachte als eine Schlange, die gerade einem Herzstillstand erliegt.
Pork fiel vor Angst aus dem Sattel, kroch durch den Sand, heulte und rang flehend die Hände. Der Anblick der angefressenen Leichen erschreckte ihn über alle Maßen, sogar in die Hosen hatte er sich schon gepinkelt. Angeekelt wandte sich Thia von ihm ab. Sollte das denn nie ein Ende haben? Musste sie bis in alle Ewigkeiten an der Seite dieses ekelhaften Schwachkopfs bleiben?
»Herrin«, brachte er unter Schluchzen heraus, »Herrin, sie …«
»Ffteh auf, fonft fetft ef waf.«
Das half.
»Rühr dich nicht vom Fleck und paff auf die Pferde auf!«
Er gehorchte klaglos. Damit konnte sich Thia endlich drängenderen Problemen zuwenden: Warum wimmelte es hier von Untoten? Soweit sie wusste, hielt sich kein Auserwählter in dieser Gegend auf. Der Kampf fand im Norden statt, und die Nekromanten hatten strikten Befehl erhalten, Alsgara zu meiden, solange Talki keine anderen Anordnungen erteilte. Ob sich jemand darüber hinweggesetzt hatte?
Daraufhin überprüfte sie geschwind das Ausmaß der Kraft, die über der Stadt lag.
»Hol mich doch daf Reich der Tiefe!«, stieß sie aus.
Um sie herum wogte eine solche Kraft, dass sie vor Freude am liebsten geschrien hätte. Baden könnte sie in der, sie mit beiden Händen schöpfen und bedenkenlos mit ihr um sich werfen. Und sie wusste genau, auf wen diese Kraft zurückging, schließlich hätte selbst ein Tölpel des Ersten Kreises den eigenen Funken wiedererkannt: All das stammte von ihr.
Wie ein hungriger Fisch schlürfte Thia diese Kraft auf, atmete sie ein und gewann sekündlich an Stärke.
Was für ein Gefühl! Warum hatte sie bloß nicht eher daran gedacht?! Dabei berichteten sogar die alten Bücher von diesem Phänomen! Es war genau wie nach dem Tod von Ghinorha und Rethar! Eine gewaltige Welle unkontrollierbarer Kraft brandete über die Gegend hinweg, und zahllose Untote erhoben sich aus den Gräbern.
Erst jetzt verstand Thia, warum sich Talki damals an die Orte begeben hatte, an denen die beiden gestorben waren. Behauptet hatte die durchtriebene Vettel ja, sie wolle die Untoten erledigen – aber eigentlich war es für die alte Schlange darum gegangen, sich die fremde Kraft einzuverleiben! Das erklärte auch das Geheimnis ihres damaligen Kraftzuwachses! Sie hatte sich an dem gelabt, was von den beiden in dieser Welt verblieben war, nachdem sie ins Reich der Tiefe eingegangen waren. Und alle anderen hatten noch frohlockt, dass sie sich mit der dreckigen Arbeit nicht die Finger schmutzig machen mussten.
Dieses miese Luder!
Aber gut, diesmal war Talki nicht vor Ort, sodass sie, Thia, sich zumindest einen Teil dessen zurückholen konnte, was sie durch den Tod ihres Körpers verloren hatte.
Und da juchzte die Verdammte Typhus.
Sie schritt durch die menschenleeren, in helles Sonnenlicht getauchten Straßen der Stadt und nahm die Gabe in sich auf. Die wirbelte nicht nur durch die Luft, sondern steckte auch in vielen Untoten. Letztere lenkte sie nun mühelos. Sobald die lebenden Leichen Pork und die Pferde witterten und auf sie zustürzten, um sie zu verschlingen, starben sie auf einen einzigen Befehl von Thia hin ein zweites Mal und setzten dabei weitere wertvolle Kraft frei. Erst spät in der Nacht hielt Thia, prall gefüllt wie ein Weinschlauch, inne und atmete tief durch.
Es war vollbracht. Sie hatte reiche Ernte eingefahren. Ihr Funke loderte fast mit der früheren Kraft. Obendrein hatte sie die Stadt von den Untoten befreit, auch wenn das gar nicht in ihrer Absicht gelegen hatte,
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