Wind Die Chroniken von Hara 1
mir.
»Ich will doch nicht neugierig sein«, sagte er und lächelte mich entwaffnend an. »Ich an deiner Stelle würde mir auch Sorgen um sie machen. Bei
der
Frau. Du hast wirklich Glück gehabt.«
»Ich weiß.«
»Es wird schon alles gut gegangen sein.«
»Hoffen wir’s.«
»Ich habe mich immer noch nicht an eine Frau gebunden«, gestand er dann zu meiner Überraschung.
»Warum nicht?«
»Wahrscheinlich habe ich einfach noch nicht die Richtige gefunden«, erwiderte Giss nach einer Weile. »Das Leben eines Boten … du weißt, was ich meine. Den einen Tag bist du hier, den nächsten dort. Welche Frau würde sich darauf einlassen?«
»Du hast nur nicht gründlich genug gesucht. Aber jetzt sollten wir haltmachen«, verlangte ich. »In der Brühe siehst du ja die Hand vor Augen nicht.«
»Unsinn«, widersprach Giss. »Wir werden uns schon nicht verirren, das versichere ich dir. Hör mal, ich wollte dich noch fragen, ob es eigentlich stimmt, was Luk über Lahen gesagt hat.«
»Sie ist weder eine Schreitende noch eine Glimmende«, erwiderte ich gelassen.
»Warum hat er sie dann so genannt?«
»Keine Ahnung, das musst du ihn fragen.«
Eine Weile ritten wir noch schweigend dahin und versuchten im Nebel die Straße auszumachen, allerdings vergeblich.
»Hast du das auch gehört?«, fragte Giss mit einem Mal. »Da! Schon wieder! Als ob irgendwo Glocken läuten!«
Aus der Ferne drang gedämpft ein Bamm heran.
»Du hast recht. Ist hier in der Nähe ein Dorf?«
»Ich weiß es nicht.« Er sah sich besorgt um. »Offenbar sind wir zu weit nach Westen abgekommen. Vielleicht ist das Psarky. Aber ist es nicht zu früh?«
»Zu früh für was?«
»Für den Gottesdienst im Meloth-Tempel. Warum läuten also die Glocken?«
Bamm erfolgte die Antwort.
»Warum – oder für wen?«, entgegnete ich. »Ich habe nicht genug Pfeile.«
Giss schielte auf meinen vollen Köcher. »Glaubst du, das sind wieder Untote?«
»Wer denn sonst? Wenn es sie in der Dabber Glatze gegeben hat, warum sollten sie dann nicht auch hier auftauchen? Ich glaube, wir reiten besser nicht weiter.«
»Wir haben kaum noch was zu essen. Und ich bin Bote, ich muss nachsehen, was sich dort tut, und gegebenenfalls Bericht erstatten.«
»Wem?«
»In erster Linie mir selbst«, antwortete er verlegen.
»Wie du meinst. Wenn du es vor Neugier nicht aushältst, sieh eben nach. Ich habe allerdings nicht die Absicht, dich zu begleiten. Schon gar nicht in diesem Nebel.«
Das hätte mir gerade noch gefehlt – dass aus dem Nichts plötzlich ein Dutzend Untote herausstürmt!
»Jagt dir das Gebimmel wirklich solche Angst ein?«
»Stell dir vor, ja«, brummte ich. »Ich bin nämlich der geborene Feigling.«
»Rede keinen Unsinn! Nicht jeder hätte in der Dabber Glatze getan, was du getan hast. Deshalb verstehe ich nicht, warum du jetzt solche Angst hast.«
»Und ich verstehe nicht, warum du dich so stur stellst. Außerdem ist dieses Geläute seltsam, findest du nicht auch? Manchmal vergeht mehr als eine Minute zwischen den einzelnen Glockenschlägen, manchmal folgen sie nahtlos aufeinander.«
»Wahrscheinlich läuten Betrunkene.«
Ein weiteres Bamm.
»Dein Entschluss steht also fest?«, fragte Giss noch einmal.
»Felsenfest. Für alle Soren des Imperiums würde ich da nicht hinreiten. Und dir würde ich das auch nicht empfehlen.«
»Dann trennen sich unsere Wege hier.« Er sagte das ohne jede Verstimmung, nahm mir meine Weigerung, ihn zu begleiten, nicht übel. »Reite noch eine Viertelleague in diese Richtung«, wies er mich an. »Dann wende dich nach Norden, und du triffst hinter einem kleinen Wald auf die Straße. Danach stößt du drei Stunden später auf die Straße nach Alsgara. Ich wünsche dir, dass mit deiner Lahen alles in Ordnung ist.«
»Dir auch viel Glück. Wenn du es dir überlegst, treib dein Pferd an. Ich werde langsam reiten.«
Giss machte nur eine wegwerfende Handbewegung, als bedeute er mir, ich solle so schnell reiten, wie ich wolle. Kurz darauf hatte der Nebel ihn und sein Pferd verschluckt. Ich lauschte noch eine Weile auf das Glockengeläut, dann befahl ich Hengst: »Vorwärts!« Mit einem zufriedenen Schnauben trabte er vorsichtig weiter.
Aus irgendeinem Grund fiel mir nun Shen ein. Warum hatten wir ihn verloren? Ob er die Dabber Glatze überlebt hatte? Sicher, er war ein unverschämter Milchbart – aber den Tod wünschte ich ihm nun doch nicht.
Bamm.
Also wirklich! Selbst wenn in dem Dorf alles ruhig und friedlich sein
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