Wind Die Chroniken von Hara 1
nicht ausgebrochen. Obwohl ich nicht sicher bin, ob wir ihm wirklich etwas entgegensetzen könnten, wenn er es sich irgendwann doch einfallen ließe, auch uns unter seine Fittiche zu nehmen. Immerhin kann uns Dreifinger die Garde des Statthalters auf den Leib hetzen – und hinter denen steht der Turm der Schreitenden. Noch hält er sich zurück, aber das kann sich selbstverständlich jederzeit ändern. Wir selbst kommen nicht an ihn heran, denn der alte Fuchs zeigt sich äußerst umsichtig, wenn es um seine Sicherheit geht. In den letzten Jahren hat er sich völlig abgeschottet.«
»Was ist mit einem anständigen Kopfgeld?«, fragte Lahen und hielt Stumpf ihr Glas hin, damit er ihr nachschenke. »Für tausend Soren müssten sich doch ein paar verzweifelte Männer finden lassen, die diese Sache erledigen.«
»Nur habe ich keine tausend Soren zu verschenken«, antwortete Moltz. Mir war schleierhaft, ob ich das ernst nehmen oder als Scherz auffassen sollte. »Und verzweifelte Männer findest du auch nicht so schnell. Heute riskiert niemand mehr seinen Kopf für ein derart aussichtsloses Unterfangen. Glaub mir, ich habe nicht übertrieben, als ich gesagt habe, Yokh habe sich völlig abgeschottet. Sein Haus gleicht einer Festung, und wenn er es einmal verlässt, dann umgeben von einer Leibwache, die gut und gern als kleine Armee bezeichnet werden kann. Die würde alle erledigen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Du wirst mir glauben, wenn du es mit eigenen Augen siehst. Morgen ist der vierte Tag der Woche, da hat Yokh die Angewohnheit, den Kämpfen beizuwohnen, die jetzt im Gurkenviertel stattfinden. Besucht sie und überzeugt euch selbst. Was gibt es da zu grinsen, Grauer?«
»Du hast gesagt, du hättest weder tausend Soren zu verschenken, noch fänden sich verzweifelte Männer. Sind Knuth und seine Kumpane deshalb zu uns gekommen? Damit wir das für dich unentgeltlich erledigen?«
»Ja was dachtest du denn?«, antwortete sie würdevoll. »Es liegt doch schließlich in eurem eigenen Interesse, wenn eine solche Summe auf eure Köpfe ausgesetzt ist. Gleichzeitig erweist ihr mir damit eine Gefälligkeit. Ich werde euch natürlich nach Kräften unterstützen. Aber Dreifinger das Licht auszublasen, das ist nun mal eure Aufgabe.«
»Eine ehrliche Antwort«, erwiderte ich.
»Haben sich meine Jungen wirklich etwas zuschulden kommen lassen?«, wollte Moltz auf einmal wissen.
»Nur Gnuzz und Bamuth. Das Geld muss ihnen den Kopf verdreht haben.«
»Bamuth ist ein Dummkopf, der sich von dem Iltis hat gängeln lassen. Doch genug davon, sie haben ihre gerechte Strafe bekommen. Aber um Knuth tut es mir leid. Er war von Anfang an dabei. Ich hoffe, seine Seele weilt jetzt in den Glücklichen Gärten. Was ist mit dem Kleinen?«
»Darauf hätte ich gern eine Antwort von dir.«
»Was meinst du?«
»Wer ist dieser Shen, den du den dreien mitgegeben hast? Und wo hast du ihn aufgelesen?«
»Ich hatte den Eindruck, dem Jungen würde eine kleine Reise guttun«, antwortete Moltz und blieb selbst unter meinem festen Blick gelassen. Was für eine Abgeklärtheit! »Damit er Erfahrung sammelt.«
»Erfahrung welcher Art? Als Mörder? Oder als Medikus? Tu nicht so, als ob du nicht genau wüsstest, dass dieser Milchbart weder der Gilde angehört noch ein freier Kopfgeldjäger ist. Der Bursche ist Medikus, selbst wenn er sich mitunter recht gut aufs Töten versteht. Also, warum hast du ihn Knuth mitgegeben?«
Dass Shen über die Gabe verfügte und ein Heiler war, erwähnte ich lieber nicht, denn davon wusste selbst Moltz möglicherweise nichts. Und wenn das so war, sollte sich daran auch nichts ändern.
»Weil jemand mich darum gebeten hat«, antwortete Moltz.
»Wer?«
»Das kann ich nicht sagen.«
»Tut mir leid, aber ich muss darauf bestehen.«
»Tut mir leid, aber ich sage es trotzdem nicht«, erklärte Moltz mit stahlharter Stimme. »Denn das hat nichts mit euch zu tun. Ich konnte nur entscheiden, wem ich den Medikus mitgebe, und da ist meine Wahl auf Knuth gefallen. Meiner Ansicht nach hätte sich Shen bei diesem Ausflug durchaus als nützlich erweisen können. Wo ist er eigentlich?«
»Das wissen wir nicht.«
»Ist er tot?«
»Ich habe doch gesagt, wir wissen nicht, was mit ihm ist. Wir haben ihn unterwegs verloren.«
Moltz hatte Angriff schon immer für die beste Verteidigung gehalten. Darum hagelte es nun Fragen, die ich beantworten musste, ohne selbst die Möglichkeit zu haben, welche zu stellen. Damit blieb es für mich
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