Wind Die Chroniken von Hara 1
gesehen haben, hast du dir einen seltsamen Zynismus angeeignet, mein Junge«, antwortete sie gelassen. »Habe ich dich recht verstanden: Du dankst mir meine Fürsorge nicht? Bist nicht froh, dass ich dich rechtzeitig vom Tun dieses Widerlings in Kenntnis gesetzt habe?«
»Doch, das bin ich.«
»Dann weiß ich nicht, warum du so unzufrieden bist.«
»Wie hast du überhaupt erfahren, dass wir noch am Leben sind?«, wollte Lahen wissen. »Und wo du uns suchen musst.«
»Dass ihr noch lebt, habe ich lediglich vermutet. Letzten Endes konnte ich mir nämlich einfach nicht vorstellen, dass ihr eine Schreitende tötet – und keinen Plan in der Hinterhand habt, wie ihr abtaucht. Diese Dummheit sähe euch so gar nicht ähnlich. Was ist, meine Liebe, noch etwas Gebäck?«
»Nein danke, davon hatte ich heute schon mehr als genug. Sonst werde ich noch zu dick.«
»Papperlapapp! Du hast eine hervorragende Figur.« Dann kam sie zu unserem alten Thema zurück: »Obwohl ich also vermutete, dass ihr noch am Leben seid, habe ich im Gegensatz zu den Schreitenden darauf verzichtet, euch zu suchen. Wozu der Aufwand? Wenn sie euch schon nicht finden konnten – worauf sollte dann eine einfache Bäckersfrau hoffen? Das Imperium bietet viele Möglichkeiten, wer wollte da sagen, in welches Loch ihr euch verkrochen habt. Möglicherweise hattet ihr unser schönes Land ja sogar verlassen und euch in die Goldene Mark, nach Urs, Grohan, Syn oder sonst wohin abgesetzt. Haras Welt ist groß. Sicher, meinen Anteil an eurem letzten Auftrag habt ihr mir unterschlagen, aber selbst das veranlasste mich nicht, nach euch zu suchen. Schließlich ist auf den Grauen in diesen Dingen immer Verlass gewesen. Zu Recht, wie sich jetzt gezeigt hat.« Sie schielte zu dem Säckchen hinüber. »Als Yokh dann aus heiterem Himmel ein Kopfgeld für euch ausgesetzt hat, war auch der letzte Zweifel ausgeräumt. Dreifinger ist kein Kindskopf, der das Geld zum Fenster hinauswirft. Nun war Eile geboten, um den Neffen unseres gemeinsamen Bekannten zu fassen. Stumpf war so gut, mit dem jungen Mann zu reden, und konnte einiges in Erfahrung bringen. Vor seinem Tod hat uns der Junge noch ein Dorf genannt. Hundsgras.«
»Hat er etwas darüber verlauten lassen, woher Yokh davon wusste?«
»Nein, er wusste nicht, wem Yokh diesen Hinweis verdankte. Aber Yokh ist nun mal ein rachsüchtiger Mann, selbst nach langer Zeit noch. Und er hat dir nie verziehen, dass er deinetwegen ein paar Fingerchen weniger hat. Wenn er jetzt einiges Geld auf euren Kopf ausgesetzt hat, musste die Sache Hand und Fuß haben. Oder jemand musste ihn zu diesem Schritt gezwungen haben.«
»Wer sollte denn Dreifinger zwingen, nach seiner Pfeife zu tanzen?«, fragte Lahen und warf mir einen raschen Blick zu.
Ich wusste, an wen sie dachte: die Schreitenden.
»Oh, da würden mir schon einige einfallen. Gewiss, Yokh ist ein wichtiger und einflussreicher Mann, dennoch gibt es wichtigere als ihn. Und die könnten durchaus Druck auf ihn ausüben.« Moltz war entgangen, dass Lahen und ich uns mit Blicken verständigt hatten. »Tatsache bleibt jedenfalls: Er hat diese Prämie ausgesetzt. Und mit zehntausend Soren hat er nicht geknausert.«
»Ohne Frage, ein hübsches Sümmchen«, bemerkte Stumpf, stellte die leere Weinflasche auf den Boden und langte nach einer neuen. »Wer würde die nicht gern einstreichen?«
»
Wir
bestimmt nicht«, versicherte Moltz sofort. »Die Summe mag viele Leute in Versuchung führen, aber nicht mich. Ich spiele kein doppeltes Spiel mit euch.«
»Weil es für dich weit einträglicher wäre, wenn wir endlich Yokh aus dem Weg räumten«, erwiderte ich.
»Eben«, sagte sie. »Yokh hat mir schon immer wie eine Gräte im Hals gesteckt. Und in den letzten Jahren hat er enorm an Einfluss gewonnen. Er ist der beste Freund des Statthalters und richtet ihm und anderen Adligen sogar die Feste aus. Stell dir mal vor, er hat sogar eigens einen Meister aus Grohan für die Feuerwerke kommen lassen. Ganz Alsgara hat einen geschlagenen Monat über nichts anderes gesprochen. Er hat sich neue Freunde zugelegt, verfügt über neue Möglichkeiten, hat seine Macht und seinen Einfluss ausgebaut. Mittlerweile untersteht ihm ein großer Teil der Stadt. Du kannst nicht einmal mehr ohne seine Zustimmung niesen. Yokh hat natürlich auch versucht, sich in die Angelegenheiten der Gilde einzumischen. Es hat ein paar Auseinandersetzungen gegeben, aber der offene Krieg ist bislang – Meloth sei gepriesen –
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