Wind Die Chroniken von Hara 1
wenn sie oft genug nicht wissen, was sie tun.«
»Wir sitzen nicht rum«, erwiderte ich, »aber wir jagen auch nichts und niemandem nach.«
»Bist du da sicher?«, hielt er dagegen. »Ich nenne Menschen wie euch insgeheim immer Windsucher. Ihr jagt blindlings dem Wind hinterher. Aber was macht ihr eigentlich, wenn ihr ihn erwischt? Ihr denkt nie darüber nach, wohin euch diese Suche führt. Möglicherweise findest du nämlich etwas ganz anderes als das, was du gesucht hast. Und statt den Wind zu fangen, gerätst du in einen Sturm. Und dann? Würdest du dich dem auch stellen?«
»Bist ja ein echter Philosoph«, sagte ich und lachte leise.
»Der Kopf ist nun mal zum Denken da«, entgegnete er. »Handelst du unüberlegt, machst du dich ganz schnell zum Narren. Diese Worte solltest du dir zu Herzen nehmen! Noch ist es nicht zu spät, deine Jagd nach dem Wind aufzugeben. Und das würde ich dir empfehlen – damit du am Ende nicht vom Sturm fortgerissen wirst.«
»Davor habe ich keine Angst.«
»Nie Angst zu haben ist auch eine Dummheit. Nicht für seine Nächsten zu fürchten ist eine doppelte Dummheit. Denn der Sturm kann dich zwar verschonen – aber jemanden wegfegen, der dir am Herzen liegt. Das würdest du ja wohl auch nicht wollen, oder?«
»Nein.«
»Dann denke lieber erst mal in aller Ruhe über die Folgen deines Tuns nach. Entscheide, ob du wirklich brauchst, was du suchst.«
»Warum sagst du mir das alles?«
»Es erleichtert mir die Arbeit«, antwortete er. »Aber wenn es dich stört, halte ich den Mund. Im Übrigen besteht für weitere Gespräche auch keine Notwendigkeit.« Daraufhin drehte er die linke Hand herum, und im Schloss klackte etwas. »Das wär’s!«, trumpfte Garrett auf.
»Du hast es geschafft?!«
»Das fragst du noch?!« Der Dieb setzte eine beleidigte Miene auf und hob selbstgefällig das Gitter an. »Möglicherweise ist diese Welt ja etwas unvollkommen geraten – aber von Schlössern verstehe ich was. Und Garrett hat noch jeden morassischen Hund bezwungen. Ruf deine Frau, der Weg ist frei.«
Während ich auf Lahen wartete, kletterte Garrett schon nach oben, um uns dann zu helfen. Im Speicher öffnete ich die Blende der Laterne ein wenig, damit ich mich umsehen konnte. Die Lagerhalle war groß, aber völlig leer. Der Boden bestand lediglich aus Erdreich, die Wände aus dicken Holzbalken. Fenster gab es keine. Unter dem Dach verliefen Querbalken. An einem von ihnen hing eine schwere Kette, die in einen respekteinflößenden Fleischerhaken mündete. Eine tadellose Vorrichtung, wollte man ein paar unbequeme Menschen aufhängen. Man bräuchte bloß den Brustkorb auf den Haken zu spießen. Wie ich gehört hatte, erlaubte sich Dreifinger diesen Spaß zuweilen mit denjenigen, die ihre Schulden nicht beglichen.
Der Dieb stürzte sofort zur Tür. Nachdem er sie sich genau angesehen hatte, drehte er sich zu uns um und lächelte glücklich. »Ich habe den Herrn dieses Hauses unterschätzt. Der ist nicht nur vorsichtig, der ist übervorsichtig. Meiner Verehrung darf er gewiss sein. Kommt her und seht euch das an.«
»Verflucht!«, zischte Lahen, um sich dann mir zuzuwenden. »Was auch immer du sagst, ich bleibe bei euch.«
Ich nickte widerstrebend. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass sich Yokh für seinen Speicher zwei Schlösser morassischer Meister zugelegt haben könnte! Der Hundekopf mit den spitzen Zähnen und dem Schlüsselloch im Schlund bleckte uns an.
»Das kostet uns noch ein kleines Weilchen«, kündigte uns Garrett an, der beim Anblick dieses Mistdings keinesfalls den Mut sinken ließ. »Und? Hast du es dir überlegt?«, nahm er unser Gespräch wieder auf. »Oder willst du immer noch den Wind suchen?«
»Ja.«
»Du musst es ja wissen. Es ist euer Leben«, antwortete er, während er den Bund mit den Nachschlüsseln abermals aus der Tasche zog.
»Wovon redet er da?«, fragte mich Lahen. »Was für einen Wind?«
»Das erklär ich dir nachher, ja?« Das war nicht die Zeit für Abschweifungen dieser Art. All meine Gedanken kreisten gerade um das Schloss. »Was, wenn sich auf der anderen Seite der Tür noch ein Riegel befindet?«, fragte ich Garrett.
»Ist dein Yokh ein Idiot? Oder ein Feigling?«
»Keins von beidem«, antwortete ich, ohne zu wissen, worauf seine Fragen abzielten.
»Dann wird da auch kein Riegel sein. Nur ein ausgemachter Dummkopf würde eine Tür mit einem morassischen Hund noch zusätzlich sichern. Zumal dieser Hund hier doppelköpfig ist. Er hat
Weitere Kostenlose Bücher