Wind Die Chroniken von Hara 1
an der Innen- und an der Außenseite ein Maul. Dergleichen ist mir noch nie untergekommen.«
Mir sank der Mut.
»Woher weißt du, dass er doppelköpfig ist?«, fragte Lahen. »Kannst du durch die Bretter sehen?«
»Nein, das spüre ich«, antwortete er grinsend. »Außerdem liegt das Schlüsselloch normalerweise außen.«
»Wenn du mich fragst, sichert
normalerweise
niemand einen Speicher mit einem morassischen Hund«, hielt mein Augenstern dagegen.
»Normal oder nicht – jedenfalls muss ich erst die eine Hälfte des Schlosses knacken, dann die zweite. Das wird ein Weilchen dauern.«
»Ich hoffe, du schaffst es noch vor dem Morgengrauen.«
»Mhm«, brummte Garrett und machte sich an die Arbeit.
Am Ende brauchte er weniger als zwanzig Minuten. Als es im Schloss das letzte Mal klackte, stand nicht ein Schweißtropfen auf seiner Stirn.
»Du übertriffst alle Erwartungen«, staunte Lahen.
»Dein Lob ehrt mich«, erwiderte Garrett grinsend. »Und damit wäre die Reihe an euch zu zeigen, wozu ihr in der Lage seid.«
»Willst du hier auf uns warten?«
»Ach was, sei’s drum«, sagte er lachend und zog die Miniaturarmbrust hervor. »Packen wir den Sturm mal beim Barte! Dieses Haus ist einfach zu gastfreundlich, da wäre es dumm, euch nicht zu begleiten.«
»Misch dich aber nicht in den Kampf ein«, verlangte Lahen. Wir beide legten schwarze Halbmasken an. »Hast du etwas, um dein Gesicht zu verbergen?«
»Nein, aber das wird auch nicht nötig sein.«
Wenn er sein Gesicht nicht verbergen wollte, bitte sehr.
Ich öffnete die Tür und spähte hinaus. Niemand. Wir schlüpften aus dem Speicher und huschten, an die Wand gepresst, in den Schatten, um uns nach allen Regeln der Kunst umzusehen.
Der Speicher, aus dem wir kamen, erhob sich neben zwei Lagerhallen vergleichbarer Machart. Darüber hinaus gab es weitere Scheunen, Hühner-, Schweine- und sonstige Ställe und andere Bauten, deren Sinn und Zweck sich mir nicht erschloss. Hinter dem Pferdestall erstreckte sich ein kleiner Garten mit Apfelbäumen, Aprikosensträuchern und Maulbeergewächsen.
Wir machten einen großen Bogen um den Pferdestall und pirschten uns in den Garten. Garrett pflückte einen Apfel von einem Baum, rieb ihn an seiner Jacke ab und biss herzhaft hinein. Prompt verzog er das Gesicht und warf die Frucht weg.
Wir schlichen uns von hinten an das dreistöckige Anwesen heran. In ihm hätte auch gut und gern der Statthalter leben können. Die großen, spitzbögigen Fenster waren bis auf einige in einem Flügel des Erdgeschosses und des dritten Stockwerks dunkel.
»Das ist die Küche«, sagte Lahen und wies auf die Fenster im Erdgeschoss. »Durch sie gelangen wir zwar schneller an unser Ziel, allerdings wäre es auch gefährlicher. Da arbeitet immer jemand. Und dort ist Yokhs Schlafzimmer.« Sie deutete auf die Lichter im dritten Stock.
»Wenn er um diese Zeit nicht schläft, dürfte er kaum ein reines Gewissen haben«, murmelte Garrett. »Ich schlage vor, wir nehmen diese Tür.«
»Aber da gibt es Laternen«, gab ich zu bedenken.
»Ja und?«, erwiderte er nur sorglos. »Das sollte uns nicht abschrecken.«
»Wenn wir die Tür nehmen, müssen wir nur durchs Gewächshaus und wären schon im richtigen Flügel«, pflichtete ihm Lahen bei. »Sonst müssten wir durchs ganze Haus – und da könnten wir jemandem in die Arme laufen.«
»Wirf mal einen Blick auf den Balkon«, bat ich.
Dort saß ein Mann mit einer Armbrust auf den Knien.
»Der schläft«, erklärte Garrett. »Schöner Wachtposten.«
»Aber der kann jederzeit aufwachen. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Männer sonst noch Patrouille ums Haus laufen.«
»Die dürften sich alle um den Haupteingang kümmern. Es rechnet doch niemand damit, dass ungebetene Gäste aus dem Speicher kriechen.«
»Gut«, gab ich mich geschlagen. »Machen wir es so, wie du vorschlägst. Ich gebe euch Deckung.«
Wie zwei Schatten huschten die beiden zwischen den Bäumen hervor und liefen quer durch die Beete zur Tür. Garrett nahm sich das Schloss vor, Lahen behielt die Ecke des Hauses im Auge, hinter der jede Sekunde jemand auftauchen konnte. Der Wachtposten auf dem Balkon hatte sich nicht mal gerührt. Der tiefe Schlaf all dieser Nichtsnutze war wie stets unser bester Verbündeter. Sobald Garrett das Schloss geknackt hatte, war es an mir, mich zum Haus zu pirschen.
Hier unten brannte nur jede fünfte der Öllampen, die an der Wand hingen. Die Flammen zitterten, sodass ihr Kampf gegen das Halbdunkel
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