Wind Die Chroniken von Hara 1
anderen tatsächlich zur Besinnung, danach gab es keine Schwierigkeiten mehr: Anstandslos beschafften die Holzfäller nun Material für die künftige Festung. Pferde zogen die Karren mit den Stämmen zum Kahlen Stein, wo der Kommandeur der Nabatorer ein Fort aufzubauen gedachte, um die Straße zur Burg der Sechs Türme zu sichern.
Irgendwann fand einer der Soldaten eine Flasche selbstgebrannten Schnapses, welche die Dorfbewohner versteckt hatten. Nachdem er sich betrunken hatte, wollte er der Frau des Dachdeckers an die Wäsche. Selbstverständlich kam es daraufhin zu einer Schlägerei zwischen den beiden Männern. Schließlich zückte der Nabatorer das Schwert, der Bauer die Heugabel. Kurze Zeit später entwaffnete eine herbeieilende Patrouille die Streithähne. Der Hauptmann fällte ein strenges Urteil: Beide wurden gehängt. Der Soldat, weil er den Befehl nicht ausgeführt hatte, der Bauer, weil er es gewagt hatte, die Hand gegen einen Nabatorer zu erheben.
Zur Urteilsvollstreckung wurde fast das gesamte Dorf zusammengetrieben. Die Männer ballten mit finsteren Mienen die Fäuste, ließen sich aber nicht zu unüberlegten Handlungen hinreißen. Etliche Frauen weinten, da sie fürchteten, dass die Nabatorer schon bald Rache am ganzen Dorf nähmen. Diese Ängste erwiesen sich jedoch als unbegründet. Kein Nabatorer verging sich an ihnen. Der Hauptmann verlas am Galgen ein Schreiben des Nabatorer Königs an sein Volk, in dem es hieß, die Dörfer und Städte, die von den ruhmreichen Armeen aus Nabator und Sdiss eingenommen würden, stünden fortan und für alle Zeiten unter dem Schutz Seiner Majestät. Wer auch immer in die Armee einträte und Seiner Majestät den Treueeid leistete, könne in Frieden leben und arbeiten und bräuchte die nächsten zehn Jahre keine Steuern zu entrichten. Weiter hieß es, auf Widerstand gegen die ruhmreiche Armee des Nabatorer Königs, Unterstützung der feindlichen Truppen des Imperiums oder andere Verbrechen gegen die Krone stünde der Tod.
Im Anschluss daran wurde das Urteil vollstreckt. Mehr Tote gab es in diesem Dorf nicht zu beklagen.
»Das schaffst du nie. Zumindest heute nicht«, behauptete Lahen im Brustton der Überzeugung. »Überall wimmelt es von Soldaten. Und am Dorfrand sind Posten aufgestellt.«
Sie war gerade nach Hause gekommen. Während ich ihr aufmerksam zuhörte, setzte ich eine Pfeilspitze auf einen schmalen Holzschaft. Weitere Rohlinge lagen auf dem Tisch, zusammen mit acht bereits fertigen Pfeilen, dem Bogen und der Sehne. Diesmal musste ich mich mit einem kleineren Kompositbogen begnügen. In geschickten Händen stellte er allerdings eine ebenso gute Waffe dar wie sein älterer Bruder, den ich für meinen letzten Auftrag benutzt hatte. Und ohne falsche Bescheidenheit durfte ich von mir behaupten, dass ich meine Hände für äußerst geschickt hielt.
»Trotzdem wagen wir es heute Nacht.«
»Das ist blanker Wahnsinn. Die ersten Tage werden sie noch Augen und Ohren offen halten. Wenn sie aber erst mal merken, dass die Bauern nicht stiften gehen, lässt ihre Aufmerksamkeit bestimmt nach. Warten wir also noch etwas ab.«
»Das können wir uns nicht leisten. Gestern hast du nur durch ein Wunder überlebt.«
»Da hab ich nicht aufgepasst. Aber das kommt nicht wieder vor.« Verärgert warf sie den Zopf über die Schulter. »Bereiten dir die neuen Gäste Sorgen?«
»Schon«, räumte ich widerwillig ein. »Noch mehr Kummer macht mir allerdings, was dieser entzückende Hauptmann gesagt hat. Nabator und Sdiss haben ein Bündnis geschlossen. Damit dürfte klar sein, wie sie die Burg der Sechs Türme nehmen konnten, oder?«
»Mehr als das«, antwortete sie. »Da haben Nekromanten mitgemischt. Und hinter denen stehen seit fünfhundert Jahren die Verdammten.«
»Und die dürften ihre eigenen Interessen haben, was unser Imperium betrifft.«
»Sicher. Schließlich war das Imperium einmal ihre Heimat. Vielleicht wollten sie ihm also einen Besuch abstatten.«
»Ironie war noch nie deine Stärke«, sagte ich, während ich den Pfeil seinen bereits fertigen Brüdern zugesellte und mir die nächste Spitze aussuchte. »Glaub mir, wir sind hier nicht mehr sicher.«
»Du übertreibst. Warum sollten sich die Verdammten für dieses Provinznest interessieren?«
»Noch vor einer Woche hätte niemand auch nur im Traum daran gedacht, dass sie überhaupt einen Fuß ins Imperium setzen. Ich habe keine Ahnung, was die Verdammten hier wollen. Aber für uns wird der Boden jetzt zu
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